Bis ich dich finde
seinen Hals und zog ihn nach vorn. Als
McCarthy zurückwich und sein Gewicht auf die Ferse des rechten Fußes
verlagerte, erwischte Jack ihn mit einer Innensichel, und McCarthy knallte mit
dem nackten Hintern auf den Betonboden, wobei er mit dem Rücken gegen eine
offene Spindtür stieß und im Fallen mit dem Ellbogen an eine Bank schlug.
Jack nahm an, daß McCarthy aufspringen und ihn vermöbeln würde, aber
der blieb einfach sitzen. »Ich könnte dich zerlegen, Burns«, sagte er.
»Dann tu’s doch.«
Selbst in seinem letzten Jahr in Exeter trat Jack nie in einer
Gewichtsklasse über fünfundsechzig Kilo an. Er hatte aufgehört zu wachsen und
war eins fünfundsiebzig groß, allerdings nur auf Zehenspitzen, und sechzig Kilo
waren für ihn ein besseres Kampfgewicht als dreiundsechzig Kilo.
In den letzten beiden Jahren gehörte er zu den besseren Ringern der
Mannschaft. Ed McCarthy würde immer nur Durchschnitt sein – Jack hätte ihn zwar
auf der Matte, aber nicht in einem freien Kampf schlagen können. Auch ein
mittelmäßiger Bursche von achtzig Kilo kann es jederzeit mit einem ziemlich
guten Gegner aufnehmen, der zwanzig Kilo leichter ist, und das wußte McCarthy.
Er stand auf und rieb sich den Rücken und den Ellbogen.
Getreu Mr. Ramseys Rat hatte Jack – wenn auch diesmal unabsichtlich
– ein Publikum. »Du solltest lieber nicht sagen, daß die Schwester von einem,
den du kennst, häßlich ist, Ed«, sagte einer der Leichtgewichtler.
»Aber Jacks Schwester ist häßlich«,
erwiderte McCarthy.
Das war Jacks Rettung: nicht McCarthys Streitlust, sondern sein
Beharren auf dem Wort »häßlich«. Obgleich es in Exeter keine Regeln in Hinblick
auf Nettigkeit gab, keine Punkte für herabsetzende oder abfällige Bemerkungen,
und obwohl die [408] vorherrschende intellektuelle Mode alles Negative, ja Spöttische
begünstigte, gab es doch einige sentimentale Seelen, für die Schwestern etwas
Heiliges waren, besonders wenn sie nicht gut aussahen. Und Emma, die ohnehin
nur beinahe hübsch war, hatte obendrein ein Gewichtsproblem.
»Wer hat eigentlich in deiner Familie das
ganze gute Aussehen geerbt, McCarthy?« fragte der Schwergewichtler der
Mannschaft. Er hieß Herman Castro und war ein Stipendiat aus El Paso, Texas,
und obwohl er ein ziemlich guter Ringer war, hatte er vielleicht ein paar
Kämpfe nur gewonnen, weil seine Gegner solche Angst vor ihm bekommen hatten. Er
sah derart zum Fürchten aus, daß man gut beraten war, das Wort »häßlich« in
seiner Gegenwart nicht zu gebrauchen.
»Mit dir hab ich gar nicht geredet, Herman«, sagte McCarthy.
»Aber jetzt redest du mit mir«, sagte Castro. Damit war die Sache
erledigt. Oder vielmehr: Damit wäre sie erledigt gewesen, wenn Jack gewollt
hätte. Doch seine Loyalität zu Emma ließ das nicht zu.
Ed McCarthy war nicht häßlich – im Gegensatz zu seinem Penis,
besonders nachdem der andere darauf getreten war –, aber besonders gut sah er
auch nicht aus. Erst in seinem letzten Jahr schaffte er es, eine Freundin zu
haben, und dann war es ein verschreckt wirkendes Mädchen mit roten Haaren und
Sommersprossen, das erst in die zehnte Klasse ging. McCarthy war achtzehn,
seine Freundin war gerade sechzehn geworden. Es war höchstwahrscheinlich keine
sexuelle Beziehung, aber für beide war es sicher die erste Beziehung überhaupt.
Jack spielte mit dem Gedanken, sie zu verführen – allerdings gewiß nicht
zu Sex, denn dafür erschien sie ihm zu jung und verschreckt. Nein, er wollte
sie gegen McCarthy aufhetzen, weil der so böse Dinge über Emma gesagt hatte.
Jack fand McCarthys Freundin in der Cafeteria, sie stand an der
Salatbar. In der Wettkampfsaison lebte Jack praktisch von [409] Salat; er konnte
nicht mit sechzigeinhalb Kilo antreten und viel
essen. (Er aß zum Frühstück eine Schüssel Haferflocken, manchmal eine Banane
dazu, zum Mittagessen Salat und abends wieder Salat und gelegentlich eine
zweite Banane.)
Als Jack sie ansprach, wirkte die Rothaarige mit den Sommersprossen
noch verschreckter als sonst. »Behandelt er dich gut?« fragte Jack sie.
Sie hieß Molly – ihren Nachnamen kannte er nicht –, und sie starrte
ihn an, als erwartete sie irgendeine bislang unbekannte und unbeherrschbare
Reaktion ihres Körpers, als hätte er ihr soeben eine halluzinogene Droge
injiziert.
Er berührte ihre Hand, die sie, ohne es zu merken, in eine
Edelstahlschüssel mit rohen Champignons hatte sinken lassen, wo sie lag, als
wäre sie soeben amputiert
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