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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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an den
Wochenenden in New York oder mit Noah an den Wochenenden in Cambridge, wo sie
sich am Harvard Square ausländische Spielfilme ansahen – Jack entwickelte eine
Vorliebe für Filme mit Untertiteln. Amerikanische Filme mochte er nicht, mit
Ausnahme von Western.
    Bei der Beschäftigung mit der Frage, ob er vielleicht wie sein Vater
sei, kam Jack der Gedanke, daß William, wenn er Emma als junger Mann
kennengelernt hätte, wahrscheinlich mit ihr ins Bett gegangen wäre, und
angesichts dessen, was sie über seinen Vater gehört hatte, glaubte Emma
ebenfalls, daß sie Williams Charme erlegen wäre.
    »Das ist einer der Gründe, warum du froh sein kannst, daß wir [405]  nicht miteinander geschlafen haben«, sagte sie zu Jack. Wie sie es fand, daß sie noch nie miteinander geschlafen
hatten, sagte sie nicht.
    Im Winterhalbjahr fanden an den Wochenenden Ringkampfturniere
statt. Emma mietete oft einen Wagen und kam, um zuzusehen. Sie selbst hatte das
Ringen aufgegeben und kämpfte wieder ausschließlich mit ihrem Gewicht. Sie aß
anfallsartig und exzessiv, trainierte aber auch anfallsartig und exzessiv mit
den Hanteln. Sie fing an zu rauchen, hörte wieder auf, sie stopfte sich voll
und hörte wieder auf, und dann ging sie in ein Fitness-Studio und trainierte
bis zum Umfallen – worauf der Kreislauf aufs neue begann. Emma schien nicht
imstande, ihn zu durchbrechen.
    Sie brauchte Tschenko, ihren liebsten Trainingspartner, aber der war
nicht nur weit entfernt, in Toronto, sondern wartete auch auf ein neues
Hüftgelenk. Boris war nach Weißrußland zurückgekehrt. »Eine Familienangelegenheit«,
war alles, was Pawel, der inzwischen nach Vancouver gezogen war, dazu sagte. Er
hatte eine Frau aus British Columbia geheiratet, die er in seinem Taxi
kennengelernt hatte.
    In Jacks zweitem Jahr in Exeter, als er fünfzehn war und auf die
Sechzehn zuging, war Emma zweiundzwanzig. Samstags fuhr sie mit ihm nach den
Ringkämpfen meist nach Durham, New Hampshire, ins Kino. Nach Durham war es
nicht weit, und dort gab es eine Universität und eine Art Programmkino, wo man
alte oder neue ausländische Filme zeigte. Im Kino in Exeter gab es nur alte.
    Jack liebte Fellinis La Strada, den er
(mehr als einmal) sah, während Emma seinen Penis hielt. Sie waren beide
überzeugt, daß Tschenko Anthony Quinn glatt zerlegt hätte, allerdings nur
damals, als er noch kein neues Hüftgelenk gebraucht hatte. La
Dolce Vita fand Jack weniger gut. Marcello Mastroianni war ein Playboy,
wie nach Jacks Meinung auch sein Vater es war, ein [406]  Sexsüchtiger, wie er
selbst es zu werden fürchtete. Und 8 ½ gefiel ihm
überhaupt nicht, wieder wegen Mastroianni.
    Mit Amarcord gewann Fellini Jacks Herz
zurück. Emma hatte den Film bereits in New York gesehen, wollte ihn in Durham
aber ausdrücklich noch einmal mit Jack sehen. Sie war gespannt, wie er auf die
Zigarettenverkäuferin mit der großen Oberweite reagieren würde. Ihre Hand lag
auf Jacks Schoß, weswegen sie die Reaktion seines Kleinen beinahe früher spürte
als er selbst. »Und wie gefällt dir diese ältere
Frau, Zuckerbär?«
    Sie merkten sich den wenig bekannten Namen der Schauspielerin, die
die großbusige Zigarettenverkäuferin aus Rimini spielte. Wenn Emma Jack in
seinem Wohnheim in Exeter anrief, sprach sie manchmal mit italienischem Akzent
und sagte: »Bitte Sie sagen Jack Burns-e, es ist-e Maria Antonietta Beluzzi am telefono !«
    Doch häufiger gab sie sich als Jacks Schwester aus. Jack bezeichnete
sie nicht mehr als seine Stiefschwester, sondern sagte, sie sei seine ältere Schwester.
    Niemand in Exeter war so taktlos, auf die fehlende Ähnlichkeit
hinzuweisen – niemand außer Ed McCarthy, einem Jungen in der Ringermannschaft,
dessen Aufmerksamkeit gegenüber Details sehr zu wünschen übrigließ. Einmal
hatte McCarthy vor dem Training vergessen, sein Suspensorium anzuziehen; sein
Penis rutschte aus dem Trikot und lag wie eine Schnecke auf der Matte, wo sein
Trainingspartner, ein Kerl von achtzig Kilo, darauf trat.
    Als McCarthy eine unhöfliche Bemerkung über Emma machte, wäre Jack
gern auch einmal auf seinen Penis getreten. »Wirklich schade, daß du in deiner
Familie derjenige bist, der das ganze gute Aussehen geerbt hat, Burns. Deine
Schwester sieht mehr wie ein Ringer aus als du.«
    Das war in der Umkleide – Holzbänke, Spinde, Betonboden –, wo sie
sich gerade zum Training umzogen. Jack griff [407]  unter einem von McCarthys Armen
hindurch, legte den rechten Arm um

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