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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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jemanden interessierst.«
    Das Problem war: Jack mochte sie. Er wollte ihre Gefühle nicht
verletzen. Und wenn er ihr erzählt hätte, daß er mit Mrs. Stackpole vögelte,
hätte sie ihm nicht geglaubt. Mrs. Stackpole war so häßlich, um Ed McCarthys
Wort zu gebrauchen, sie war so stiefmütterlich ausgestattet unter den Frauen,
auch unter den älteren Frauen, daß sie selbst kaum
glauben konnte, daß Jack Burns mit ihr vögelte.
    »Warum ich?« hatte Mrs. Stackpole ihn einmal gefragt, während ihr
Gewicht ihm den Atem nahm. Er konnte gar nichts sagen, hätte aber ohnehin keine
Antwort gewußt. Mrs. Stackpoles Bedürfnis, mit ihm ins Bett zu gehen, hatte
etwas Dringliches; Jungen wie Jack Burns hatten sie nie auch nur eines Blickes
gewürdigt. Wie hätte Jack einer Schönheit wie Michele Maher davon erzählen
können?
    »Wie könnte sich jemand nicht für dich interessieren, Michele?«
fragte Jack.
    Wäre das sein letzter Satz gewesen, dann hätte er sich anschließend
umgedreht und wäre gegangen, und alles wäre gut gewesen. Doch er war zu
hungrig, um sich von der Salattheke zu entfernen. Als jemand ihm die Hand auf
die Schulter legte, dachte Jack, es sei Michele. Er hoffte, es sei Michele.
    »Was hast du Arschloch zu Molly gesagt?« fragt Ed McCarthy.
    »Die Wahrheit«, antwortete Jack. »Daß du meine Schwester häßlich
genannt hat. Das hast du doch, oder?«
    Jack hatte es nicht darauf angelegt, daß Michele Maher sich in ihn
verliebte, aber sie stand genau neben ihm. Und was konnte McCarthy schon tun?
Jack war in Redding gewesen und konnte, wie McCarthy wußte, einiges einstecken.
Und was würde [415]  Hudson, der Trainer, mit McCarthy machen, wenn dieser Jack
verletzte und einer der besten Leichtgewichtler ausgerechnet am Ende der Saison
für einige Turniere aussetzen mußte?
    Außerdem hätte Herman Castro Kleinholz aus McCarthy gemacht, wenn
der Jack auch nur angerührt hätte. Indem er für die Häßlichkeit eingetreten
war, hatte Jack in Herman Castro einen Freund fürs Leben gefunden.
    »Ed findet, daß meine ältere Schwester häßlich ist«, erklärte Jack
Michele. Er sah, daß es bereits zu spät war: Sie konnte schon nicht mehr
zurück. »Für mich ist sie das natürlich nicht – schließlich liebe ich Emma.«
    Das Beste – vielleicht das einzige –, was Ed McCarthy unter diesen
Umständen tun konnte, war, sich zu entfernen; dennoch war Jack ein wenig
überrascht, als McCarthy sich umdrehte und ging. Er hatte gerade seine
verschreckte Freundin verloren, und für den Rest seines Lebens bestand die
einzige Möglichkeit, dieselbe Luft zu atmen wie die Michele Mahers dieser Welt,
darin, sich neben Leute wie Jack Burns zu stellen. Es waren Männer wie Jack
Burns, die Frauen wie Michele Maher bekamen – und Jack bekam Michele, ohne es
auch nur darauf anzulegen.
    Im Frühjahr ihres letzten Schuljahrs lud Michele Jack für ein
Wochenende zu ihren Eltern nach New York ein. Es war das erste Mal, daß Jack
das Gefühl hatte, Emma zu betrügen, nicht weil er mit Michele zusammen war,
sondern weil er Emma nicht sagte, daß er in New York sein würde. Michele war so
schön, daß Jack fürchtete, es werde Emmas Gefühle verletzen, wenn er die beiden
miteinander bekannt machte – womöglich werde sie Michele schlecht behandeln.
(Die ganze Familie Maher war schön, sogar der Hund.)
    Außerdem, überlegte Jack, werde es Emma doch vielleicht gar nichts
ausmachen, wenn er in New York war und es ihr nicht sagte. Sie hatte gerade den
Abschluß an der NYU gemacht und [416]  schrieb
Drehbücher für eine Comedy-Serie, die im Spätprogramm eines New Yorker Senders
lief. Sie haßte diesen Job und war zu dem Schluß gekommen, daß in ihrem Fall
der Weg zum Film nicht durch Fernsehstudios führte. Sie war sich nicht einmal
mehr sicher, ob sie überhaupt Filme machen wollte.
    »Ich will Schriftstellerin werden, Zuckerbär – und ich meine Romane,
nicht Drehbücher. Ich meine Literatur, nicht Journalismus.«
    »Und wann willst du schreiben?« fragte er sie.
    »An den Wochenenden.«
    Und so redete Jack sich ein, daß er Emma vom Schreiben abhalten
würde, wenn er sich an diesem Wochenende bei ihr meldete.
    Micheles Eltern hatten eine Wohnung an der Park Avenue, halb so groß
wie die Grundfläche des Gebäudes und größer als der Trakt der Fünftkläßler in
Redding. Er hatte nicht gewußt, daß es Leute gab, die in ihren Wohnungen
Kunstwerke hatten, Kunstwerke, die ihnen tatsächlich gehörten. Er hatte nicht
einmal

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