Bis ich dich finde
worden. »Ich meine McCarthy«, sagte Jack. »Was Frauen
betrifft, kann er ganz schön grausam und oberflächlich sein. Ich hoffe, bei dir
nicht.«
»Hat er auf jemandem herumgetrampelt, den du kennst?« fragte Molly.
Sie schien wirklich Angst vor McCarthy zu haben.
»Eigentlich nur auf meinen Gefühlen –
für meine ältere Schwester.«
Auf sein inneres Kommando traten ihm Tränen in die Augen. All die
Kinobesuche, bei denen Emma seinen Penis gehalten hatte, all die Großaufnahmen
hatten ihn konditioniert. Inzwischen hatte er sicher ein halbes dutzendmal
Anthony Quinn weinen sehen. Wenn Zampanò, dieser starke Mann, weinen konnte,
dann konnte er das auch.
In Exeter hatte Jack nicht oft auf der Bühne gestanden. Die
Hausaufgaben hatten ihn so sehr in Anspruch genommen, daß er sich an den
meisten Produktionen der Arbeitsgruppe »Drama und Theater« (Dramath) nicht
beteiligt hatte.
Tod eines Handlungsreisenden, das Stück,
das im Herbst des Jahres aufgeführt wurde, in dem Jack in die neunte Klasse
ging, weckte keine Begehrlichkeit. Für Willy Loman war er zu [410] jungenhaft, und
für einen von Willys Söhnen – Happy oder Biff – war er zu klein. Mutig sprach
er für die Rolle der Linda vor und schlug eine ganze Reihe von Mädchen aus dem
Feld, darunter auch zwei, die schon im vierten Jahr bei der Dramath mitmachten.
Jack machte seine erste Erfahrung mit Kritik, als im Jahrbuch der Schule stand,
seine Interpretation habe sich durch »ein Übermaß an Verzweiflung«
ausgezeichnet, und in der Schulzeitung The Exonian zu
lesen war, Linda sei eine Fehlbesetzung gewesen und das Ergebnis »eine
Geschlechterparodie, wie sie das Publikum wohl in jenen dunklen Zeiten erdulden
mußte, als Exeter noch eine reine Jungenschule war«. – Was wissen die schon?
dachte Jack. Versucht doch mal, Linda zu sagen, daß sie im Übermaß verzweifelt
ist!
Jack spürte, wie schwer das schulische Pensum auf ihm lastete, und
tat fortan, als gefielen ihm die von der Dramath ausgesuchten Stücke nicht.
Meist war das nicht schwer; oft spiegelte die Wahl den Geschmack des
altmodischen Hippies wider, der in der Dramath als beratender Lehrer fungierte.
Außerdem sparte sich Jack für den gelegentlichen Shakespeare auf, den nicht
einmal Amateure ernsthaft ruinieren konnten.
Den anderen in der Dramath hatte seine Darstellung der Linda
ebenfalls nicht gefallen. Sie versuchten, ihm männliche Rollen aufzudrängen und
ermunterten ihn, für Mister Roberts vorzusprechen – als wäre der Film nicht
schon schlecht genug gewesen. Eine altmodische Wahl! Jack dachte an Wendy
Holton und sagte: »Lieber sterbe ich.«
Das erwies sich als segensreich für seine Reputation als
Schauspieler: Daß er schwer zu bekommen war, machte ihn begehrt. (Und was
riskierte er schon dabei?)
Er beschloß, alle zu verblüffen, indem er sich für eine Nebenrolle
in Das kleine Teehaus meldete. Jack wußte, daß sein
Auftritt als die Geisha Lotusblüte seine künftigen Ansprüche auf weibliche
Rollen legitimieren würde. Die Rolle, die er wirklich [411] wollte, kam im
Frühjahr seines vorletzten Jahrs in Exeter. Jack spielte natürlich Lady Macbeth, und wer sollte ihm da schon in die Quere
kommen? Ein anderer Ringer? (Eine der Zwölftkläßlerinnen in der Dramath
verstieg sich zu der Behauptung, die Rolle erfordere eine »dominante« Frau und
daher eine »maskulinere« Wahl.)
Als man in der Dramath dachte, man habe ihn endlich eingeordnet –
Burns steht auf Shakespeare, Burns will alles »in Frauenklamotten« spielen –,
überraschte er sie noch einmal. Er sprach für Richard III. vor, aber nur unter der Bedingung, daß er
den Richard spielen durfte. Sollen sie doch bis zum Umfallen mit Unsere kleine Stadt herumstümpern, dachte Jack. Er wollte
den Football – das Requisit seiner Wahl für den Buckel – zwischen den
Schulterblättern spüren.
Es war der Winter von Jacks letztem Jahr. Die Wettkampfsaison hatte
begonnen, und er war besonders durchtrainiert. Er würde ihnen einen »Winter
unsers Mißvergnügens« zeigen, wie sie ihn noch nie gesehen hatten; er würde
ihnen sein »Königreich für ein Pferd« anbieten, und sie würden ihm glauben.
(Und wie sie ihm glaubten!)
Jetzt tropften Jacks Tränen auf Mollys Hand und auf die Champignons;
auch auf den Brokkoli und die Gurkenscheiben tropften sie. Ein Radieschen
rollte von seinem Teller. Er machte nicht einmal den Versuch, es zu fangen.
Molly führte ihn zu einem Tisch. Andere Schüler machten ihnen
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