Bis ich dich finde
nicht in dieser Hinsicht jemanden wie Claudia, sondern
ich meine eine Beziehung wie die zu ihr – eine, bei der die Chance besteht, daß
sie von Dauer ist, Jack.«
»Wahrscheinlich ist Claudia mittlerweile richtig dick«, sagte er [970] zu Dr. García. »Ihr stand eine gewaltige Schlacht mit ihrem Gewicht bevor.«
»Ich meine auch nicht unbedingt in dieser Hinsicht jemanden wie
Claudia, Jack.«
»Claudia hat sich so dringend Kinder gewünscht – wahrscheinlich ist
sie mittlerweile Großmutter«, sagte er zu Dr. García.
»Sie haben noch nie rechnen können, Jack«, sagte sie.
Jack machte Dr. García keinen Vorwurf. Er würde die volle
Verantwortung für das, was geschah, übernehmen. Aber der bloße Gedanke an
Claudia – die Tatsache, daß sie ihn in letzter Zeit so beschäftigte – rührte
bestimmt von dem Gespräch über sie in seiner Therapiesitzung bei Dr. García
her. Jack dachte an sie – mehr wollte er nicht zu seiner Verteidigung
vorbringen –, als er in einer warmen Nacht in jenem Sommer von einer Party nach
Santa Monica zurückfuhr.
Er erinnerte sich an das erste Mal, als Claudia ihm ihren Volvo
geliehen hatte – an das unglaubliche Gefühl der Unabhängigkeit, das daher
rührt, daß man jung und allein ist und einen Wagen fährt.
Er bog in die Einfahrt am Entrada Drive ein – und seine Scheinwerfer
erfaßten die umwerfend schöne junge Frau mit den unverkennbar slawischen Zügen,
die auf Jacks absurd kleinem Rasen auf ihrem ramponierten, aber vertrauten
Koffer saß. Sie saß, als posierte sie neben dem ZU-VERKAUFEN -Schild
für ein Foto, mit derart heiterer Gelassenheit still, daß Jack einen Moment
lang vergaß, was hier eigentlich zum Verkauf angeboten wurde. Bevor ihm wieder
einfiel, daß er sein Haus verkaufen wollte, dachte er, sie sei zu verkaufen – und dieser Gedanke sollte ihn später verfolgen, weil sie auf
eine Weise käuflich war, die er sich nicht hatte vorstellen können.
Er wußte, wer sie war: Claudia oder ihr Geist. Es war ein [971] Wunder,
daß er nicht die Kontrolle über den Audi verlor und sie überfuhr – er hätte sie
sonst umgehend oder, falls sie ein Geist war, zum zweitenmal ins Jenseits
befördert. Aber wie kann es Claudia sein?, dachte er.
Die junge Frau auf seinem Rasen war so jung, wie es Claudia gewesen war, als er
sie gekannt hatte, oder noch jünger. (Außerdem hatte Claudia stets älter
ausgesehen, als sie tatsächlich war, und sie hatte die Angewohnheit zu lügen,
was ihr Alter anging.)
»Verdammt, Jack«, hatte Claudia gesagt, »wenn ich mal tot bin, werde
ich dich heimsuchen, das verspreche ich dir. Vielleicht schon, bevor ich tot
bin.«
War es, da Claudia versprochen hatte, ihn heimzusuchen, nicht
verzeihlich, daß Jack annahm, die Erscheinung, die neben seinem ZU-VERKAUFEN -Schild saß, sei Claudias Geist ? Ein Geist ist normalerweise nicht mit einem Koffer
unterwegs, aber vielleicht hatte man sie ja aus Himmel oder Hölle
hinausgeworfen – oder ihr Auftrag, Jack heimzusuchen, erforderte eine gewisse
Auswahl an Garderobe. Schließlich war Claudia Schauspielerin (oder war es
gewesen), und sie hatte das Theater mehr geliebt, als Jack das tat. Im Falle
von Claudias Geist konnte es sich bei dem Koffer also um ein Requisit handeln.
Obwohl seine Beine wie gelähmt waren, schaffte es Jack irgendwie,
aus dem Audi auszusteigen und auf sie zuzugehen. Er wußte, daß wegfahren oder
weglaufen nicht in Frage kam – einem Geist kann man nicht entkommen. Aber er ließ
die Scheinwerfer des Audi an. Wenn man sich einem Geist nähert, möchte man ihn
wenigstens deutlich sehen. Wer will schon im Dunkeln auf einen Geist zugehen?
»Claudia?« sagte Jack mit zitternder Stimme.
»Ach, Jack, es ist einfach zu lange her«, sagte sie. »Es ist eine
Ewigkeit her, daß ich dich gesehen habe!«
Sie war ganz die alte, nur jünger. Die gleiche Bühnenpräsenz, die
gleiche tragende Stimme – als wollte sie selbst bei einem [972] Zwiegespräch
sichergehen, daß auch die armen Schweine auf den billigsten Plätzen im obersten
Rang alles verstanden.
»Aber du bist so jung«, sagte er.
»Ich bin auch jung gestorben, Jack.«
»Wie jung, Claudia? Du siehst noch jünger aus, als du damals warst!
Wie ist das möglich?«
»Der Tod steht mir, denke ich«, sagte sie. »Willst du mich denn
nicht hereinbitten, Jack? Ich bin vor Sehnsucht nach dir gestorben, Jack. Ich
sitze seit einer Ewigkeit auf diesem bescheuerten
Rasen.«
Das Wort bescheuert war neu und
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