Bis ich dich finde
unglückliche Zwischenfall sei zwar ganz und gar untypisch für Harry
Mocco, jedoch leider charakteristisch für Jack Burns. (Jack glaubte, er könne
ihrer Kritik durch Selbstkritik zuvorkommen.)
»Sie lassen sich zuviel gefallen, Jack«, sagte Dr. García. »Sie
hätten diesen Transvestiten niemals in den Fahrstuhl lassen dürfen – Sie hätten
sich schon in der Eingangshalle mit ihm prügeln müssen, dort hätte es nicht so
lange gedauert. Und außerdem hätten Sie ihn in der Bar niemals auf Ihrem Schoß
sitzen lassen dürfen.«
»Sich in der Bar mit ihm zu prügeln, wäre keine gute Idee gewesen«,
versicherte Jack Dr. García.
»Warum haben Sie ihn überhaupt aus dem Nachtclub mitgenommen?«
fragte sie.
»Er hat mich angemacht. Ich war erregt«, gab er zu.
»Das glaube ich gerne, Jack. Nichts anderes tun Transvestiten
schließlich, oder? Sie geben sich alle Mühe, Männer anzumachen. Aber wohin
führt das, Jack? Wohin führt das jedesmal?«
[968] Ihm fiel keine Antwort ein.
»Sie geraten ständig in Schwierigkeiten«, sagte Dr. García. »Es sind
immer nur kleine Schwierigkeiten, aber Sie wissen ja, wohin das führt – nicht
wahr, Jack? Sie wissen doch, wohin das führt?«
Es war Juli 2003, als man in New York die Abschlußparty für Der Dichter der Liebe feierte. Danach flog Jack nach L.A. zurück. Er hatte sich Harry Moccos Gewohnheit zu
eigen gemacht, völlig Fremden Fragmente aus Liebesgedichten vorzutragen, doch
im Falle der attraktiven Stewardess auf seinem Flug von New York nach Los
Angeles traf die Schuld nicht ihn allein. Sie hatte ihn gebeten, ihr von seinem
neuen Film zu erzählen, und Jack erklärte ihr zunächst, Harry Mocco lerne
zwanghaft Gedichte auswendig und trage sie vor, ohne sich lange bitten zu
lassen.
»Kennen Sie zum Beispiel das Gedicht ›Bettgespräch‹ von Philip
Larkin?« fragte er sie. (Sie war vermutlich in seinem Alter.)
»Muß ich das denn kennen?« fragte sie ihn mißtrauisch. »Ich bin
verheiratet.«
Aber er versuchte es weiter. (Er hatte seit Jahren nicht mit einer
Stewardess geschlafen.) »Oder ›In Bertrams Garten‹ von Donald Justice«, fuhr er
fort, als hätte die Flugbegleiterin ihn ermuntert. »›Jane senkt den Blick auf
ihren Rock, als wäre er’s, den man entehrt –‹«
»Halt!« schnitt ihm die Stewardess das Wort ab. »Davon will ich
nichts wissen.«
Das passiert, wenn man einen Schauspieler bittet, einem von seinem
nächsten Film zu erzählen.
Als Jack sein Haus am Entrada Drive betrat, rief er sofort einen
Immobilienmakler an und beauftragte ihn, es zum Verkauf anzubieten. ( Ich verkaufe das Scheißding!, dachte Jack. Vielleicht zwingt mich das ja, ein bißchen anders zu leben. )
Als er zu seinem Termin mit Dr. García – dem ersten seit zwei
Monaten – aufbrach, fühlte er sich wie ein neuer Mensch.
[969] »Aber eigentlich haben Sie doch gar keine Entscheidung darüber
getroffen, wo Sie leben wollen, Jack«, machte Dr. García deutlich. »Ist es
nicht eher so, daß Sie sich gewissermaßen selbst den Teppich unter den Füßen
wegziehen?«
Doch wenn Jack auch keine Entscheidung über sein Leben treffen
konnte, so hatte er doch zumindest beschlossen, daß etwas passieren müsse.
»Ist es denn das Haus, das Lucy hereingelassen hat?« fragte ihn Dr.
García. »Liegt es vielleicht an den Lügen Ihrer Mutter oder an Ihrem abwesenden
Vater, daß Sie ein steuerloses Schiff sind, ständig in Gefahr, irgendwohin zu
treiben, wo der Wind, die Strömung oder die nächste sexuelle Begegnung Sie
hinträgt?«
Jack blieb stumm.
»Denken Sie an Claudia«, sagte Dr. García. »Wenn Sie wollen, daß
etwas Bedeutungsvolles passiert – wenn Sie wirklich anders leben wollen –, dann
nehmen Sie sich vor, so eine Frau zu finden. Nehmen Sie sich vor, eine
Beziehung einzugehen; sie muß gar nicht vier Jahre dauern. Nehmen Sie sich vor,
sich mit einer Frau zusammenzutun, mit der sie ein Jahr lang zusammenleben
könnten! Fangen Sie klein an, aber fangen Sie irgendwo an.«
»Sie haben mich einmal gebeten, Sie nicht mit einer Kontaktbörse zu
verwechseln«, erinnerte Jack sie.
»Ich empfehle Ihnen, mit den flüchtigen Kontakten aufzuhören, Jack.
Ich gebe Ihnen zu bedenken, daß Sie ganz anders leben müßten, wenn Sie
versuchen würden, mit jemandem zusammenzuleben. Sie brauchen kein neues Haus.
Sie müssen jemanden finden, mit dem Sie zusammenleben können«, sagte Dr.
García.
»Jemanden wie Claudia? Sie wollte Kinder, Dr. García.«
»Ich meine
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