Bis ich dich finde
können, haben nicht nur keine Körperwärme,
sondern weibliche Geister werden auch nicht feucht. (Oder doch?)
»Du hast einen Ständer, Jack«, sagte die junge Frau und berührte
ihn.
»Ich kriege auch oft im Schlaf einen Ständer«, sagte er, als wäre
der Vorfall mit der Transen-Tänzerin im Trump eine Generalprobe gewesen. »Das
ist keine große Sache.«
»Ich find’s groß genug«, sagte die junge Frau und küßte ihn [975] auf
den Mund. Sie küßte nicht annähernd so wie Claudia. Trotzdem bedurfte es von
seiten Jacks nicht unbeträchtlicher Willenskraft, um seine Hand wegzuziehen. Um
sie zum Aufhören zu bewegen, mußte er ihr sagen, daß er wußte, wer sie war.
»Was würde wohl deine Mutter dazu sagen?« fragte er Claudias
Tochter. »Der bloße Gedanke, daß du mit mir schläfst! Darüber wäre deine Mutter
nicht gerade beglückt, oder?«
»Meine Mutter ist tot«, sagte sie. »Ich bin hier, um dich
heimzusuchen, weil ich nicht glaube, daß sie das kann.«
»Wie heißt du?« fragte Jack sie.
»Sally. Nach Sally Bowles, der Rolle in Cabaret, die meine Mutter immer spielen wollte – und die du auch immer spielen wolltest,
wie sie mir erzählt hat. Nur hättest du sie wahrscheinlich besser gespielt, hat
Mom gesagt.«
»Woran ist deine Mutter gestorben, Sally? Und wann?«
»An Krebs, vor ein paar Jahren«, sagte Sally. »Ich mußte warten, bis
ich achtzehn war, um dich ganz legal heimsuchen zu können.«
Sie sah aus wie Anfang Zwanzig, aber andererseits hatte auch ihre
Mutter stets älter ausgesehen, als sie tatsächlich war.
»Bist du wirklich achtzehn, Sally?«
»Genau wie Lucy. War Lucy denn nicht achtzehn?« fragte Sally.
»Offenbar weiß alle Welt über die Sache mit Lucy Bescheid«, sagte
Jack.
»Die Geschichte mit Lucy war das letzte, was meine Mutter von dir
gehört hat. Das ist kurz vor ihrem Tod passiert. Vielleicht hat es ihr das
erleichtert, ohne dich zu sterben«, sagte Sally.
Wie Lucy spazierte Sally in Jacks Haus herum, als ob es ihr gehörte.
Er bemerkte, daß sie ihre Schuhe ausgezogen hatte; sie trat barfuß auf die
Ringermatte in seinem Fitness-Raum. Ihre beigefarbene, ärmellose Bluse bestand
aus gazeartigem Stoff, der durchschimmernde BH war
von der gleichen beigen oder [976] hellbraunen Farbe. Beim Gehen machte Sallys
Rock ein raschelndes Geräusch. Sie blieb an seinem Schreibtisch stehen und las
die Titelseite eines Drehbuchs, das dort lag. (Und dann griff sie nach Jacks
Adreßbuch.)
»Meine Mutter hat nie aufgehört, dich zu lieben«, sagte Sally. »Sie
hat sich immer gefragt, was wohl passiert wäre, wenn Sie bei dir geblieben wäre
– ob du ihr je ein Kind oder Kinder geschenkt hättest. Sie hat es bedauert, daß
sie mit dir Schluß gemacht hat, aber sie wollte unbedingt Kinder.«
So wie Sally Kinder sagte, bekam Jack den
Eindruck, daß sie Kinder nicht mochte – oder daß das unbedingte Bedürfnis nach
ihnen bei ihr nicht ebenso tief ging wie damals bei ihrer Mutter.
Sie ließ sich auf Jacks Wohnzimmercouch plumpsen und schlug sein
Adreßbuch auf. Er setzte sich neben sie.
»Hast du Geschwister, Sally?«
»Das soll wohl ein Witz sein! Meine Mutter hat vier Kinder gekriegt,
alle sauber hintereinander weg. Und ich hatte das Glück, die erste zu sein –
ich durfte Babysitterin spielen.«
»Und dein Vater?« fragte Jack.
»Der ist völlig harmlos«, sagte Sally. »Nach der Trennung von dir
hätte Mom den erstbesten geheiratet. Er mußte bloß versprechen, daß er ihr
Kinder macht. Mein Vater war der erstbeste, der typische erbärmliche
Verlierer.«
»Wieso ist er ein erbärmlicher Verlierer, Sally?«
»Er ist mit Mom in sämtliche Filme gegangen, in denen du mitgespielt
hast. Das muß wahnsinnig prickelnd für ihn gewesen sein, wenn du verstehst, was
ich meine«, sagte Sally. »Als ich alt genug war, habe ich natürlich auch alle
diese Filme gesehen – zusammen mit Mom und Dad. Es gab nichts, was sie meinem
Vater nicht von dir erzählt hätte. Und auch nichts, was sie mir nicht von dir erzählt hätte. Die Reise zum Filmfestival in Toronto, die du mit
ihr gemacht hast. Wie deine Mutter sie tätowiert hat. Wie du sie dazu gebracht
hast, daß sie dem Zöllner ihre Tätowierung [977] zeigt – das war richtig witzig.
Wie sie dir den Tripper angehängt hat, den sie sich von Hauptmann Phoebus
geholt hatte, als du in Der Glöckner von Notre Dame die schwule Esmeralda gespielt hast. Und was für einen Aufstand du deswegen
gemacht hast, als hättest du selbst nie
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