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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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mit jemand anders rumgemacht.«
    »Aber dein Vater hat sie geliebt?« fragte Jack.
    »Ach was, vergöttert hat er sie!« sagte
Sally. »Meine Mutter ist aufgegangen wie ein Hefeteig – sie hat sich völlig
gehenlassen –, und es war nicht zu übersehen, daß sie nie über dich
hinweggekommen ist. Aber Dad hat sie angebetet. «
    »Du bist sehr schön, Sally«, sagte er zu ihr. »Du siehst deiner
Mutter so ähnlich, daß ich dir fast geglaubt hätte. Einen Moment lang habe ich
wirklich gedacht, du wärst Claudias Geist.«
    »Ich kann dich so gut heimsuchen wie jeder Geist, glaub mir, Jack.«
Sie sah ihn nicht an; sie durchblätterte weiter sein Adreßbuch, als suchte sie
nach jemandem. Plötzlich schlug sie wieder die erste Seite auf. Sie begann beim
Buchstaben A und las mit der Bühnenstimme ihrer Mutter laut den ersten Namen
vor.
    »Mildred (›Milly‹) Ascheim«, sagte sie. Dann bekam ihr Ton etwas
Penetrantes. »Hast du sie gevögelt, Jack? Vögelst du sie immer noch?«
    »Nein, nie«, erwiderte er.
    »So, so. Da ist noch eine Ascheim – Myra. Die hast du durchgestrichen. Ein ziemlich deutliches Indiz dafür, daß du sie
gevögelt hast. Und dann hast du sie vermutlich abgeschoben.«
    »Ich habe nie mit ihr geschlafen. Durchgestrichen habe ich sie, weil
sie gestorben ist. Laß dieses Spielchen, Sally«, sagte Jack.
    Aber sie las weiter. Als sie zu Lucia Delvecchio kam, wurde sie ganz
aufgeregt. »Sogar Mom hat gesagt, daß du ganz bestimmt mit ihr geschlafen
hast«, sagte Sally. »Als Mom dich mit ihr in dem Film gesehen hat, hat sie
gleich gewußt, daß du mit ihr schlafen wirst, hat sie gesagt.«
    Jack griff zu spät ein. Sally war bei G, als der Ärger richtig [978]  losging. (Er wußte, was Dr. García sagen würde – nämlich daß er sich von
vornherein nicht neben Sally auf die Couch hätte setzen dürfen.)
    »Elena García«, sagte Sally. Jacks Gesicht war wohl anzusehen, daß
er dies als Respektlosigkeit gegenüber Dr. García empfand, die er niemals mit
dem Vornamen anredete. Dr. García war in diesem Stadium seines Lebens der
wichtigste Mensch für ihn, und das erkannte Sally. »Deine Putzfrau oder
ehemalige Putzfrau?« fragte sie noch respektloser. »Jedenfalls hast du
garantiert mit ihr gevögelt.«
    »Sie ist meine Ärztin, meine Therapeutin«, sagte Jack. »Ich nenne
sie noch nicht mal beim Vornamen.«
    »Ja, richtig – sie ist doch auch Lucys Gehirnschlosserin, stimmt’s?
Wie konnte ich das vergessen!« sagte Sally. »Ich wette, du wirst mittlerweile
von Lucys Mutter verfolgt.«
    Die Kleine war gut. Sie hatte das Talent ihrer Mutter, war
allerdings nicht halb so gut ausgebildet. Und in diesem Augenblick, als sie
sich über ihn lustig machte, erinnerte sie ihn stärker an Claudia als in den
Momenten, in denen er sich eingebildet hatte, sie wäre Claudias Geist.
    »Bitte sei mir nicht böse, Jack«, sagte Sally ganz so, wie ihre
Mutter es gesagt haben würde. »Mir fehlt einfach meine Mutter, und ich habe
gedacht, mit dir zusammenzusein, bringt sie mir vielleicht zurück.«
    Jack konnte sich nicht rühren. Er saß einfach nur da. Seiner
Erfahrung nach merkten es Frauen, auch junge Frauen, wenn man ihnen hilflos
ausgeliefert war. Claudia hatte die Momente erkannt, in denen Jack ihr nicht
hatte widerstehen können. Sally erkannte sie ebenfalls. Sie schmiegte sich an
ihn und begann ihm das Hemd aufzuknöpfen. Er hinderte sie nicht. »Weißt du
noch, als du Johannes der Täufer warst?« fragte sie ihn.
    »Ich war bloß sein Kopf – eine kleine Rolle«, antwortete er ihr.
»Sein abgetrennter Kopf, mehr war ich nicht.«
    [979]  »Sein abgeschlagener Kopf auf einem Tisch«, erinnerte ihn Sally
und streifte ihm sein Hemd ab. Er wußte nicht, wann sie ihre Bluse aufgeknöpft
hatte; er bemerkte nur, daß sie aufgeknöpft war. »Mom war Salomé, stimmt’s?«
fragte ihn Claudias Tochter.
    »Ja«, antwortete Jack. Er konnte kaum reden. Das Mädchen hatte ihn
und sich ausgezogen. Nackt war sie Claudia ähnlicher als diese selbst – und
zwar samt chinesischem Zepter und allem anderen.
    »Mom hat gesagt, das war der beste Kuß, den sie dir je gegeben hat.«
    Ein Wahnsinnskuß war das gewesen, das wußte er noch. Doch die
Beziehung zwischen ihm und Claudia hatte bereits einen Knacks gehabt – nicht
einmal dieser Kuß hatte verhindern können, daß sie sich auseinanderlebten.
    Jack erkannte die blaue Folie, in die seine bevorzugte Marke
japanischer Kondome verpackt war. Sally riß die Verpackung mit den

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