Bis ich dich finde
Kunst,
und Barbara Steiner war keine flüchtige Schwärmerei: Sie traten gemeinsam auf
und lehrten gemeinsam.
»Ich habe einen Sohn, aber ich sehe ihn vielleicht nie wieder«,
hatte William von vornherein zu Barbara gesagt.
In ihrer Kindheit sei Jack Burns emotional und psychisch stets
präsent gewesen, hatte Miss Wurtz von Heather erfahren, und zwar schon bevor
Jack ein Filmstar geworden sei und sein Vater begonnen habe, ihn sich wie
besessen auf der Leinwand, auf Video und auf DVD anzusehen. (Laut Miss Wurtz beherrschte William sämtliche Filmdialoge Jacks
»aus dem Effeff«.)
William Burns und Barbara Steiner hatten in München, Köln und
Stuttgart gewohnt; sie hatten etwa fünf Jahre in Deutschland gelebt. Als
Barbara mit Heather schwanger gewesen war, hatte man William Gelegenheit
geboten, nach Edinburgh, »nach Hause«, zurückzukehren. Er hatte zugegriffen.
Heather war in Schottland zur Welt gekommen, wo ihre Eltern beide an der
Musikhochschule unterrichteten.
William spielte abermals die Father Willis in Old St. Paul’s, die
mittlerweile allerdings umgebaut und vergrößert worden war. Angesichts der
fabelhaften Nachhallzeit der Kirche fiel das kaum ins Gewicht: Es war die Old
St. Paul’s Scottish Episcopal Church, die William liebte, und Edinburgh war
seine Stadt.
Die gute Miss Wurtz war allzu voreilig zu dem Schluß gelangt,
Williams Lebenskreis habe sich geschlossen. Ob es nicht wunderbar sei, daß
William Burns trotz all seiner Wanderlust und der Verwerfungen seiner jüngeren
Tage endlich »zur Ruhe gekommen« sei? Er hatte die richtige Frau gefunden,
seine Tochter würde ihm ein gewisses Maß an Frieden bescheren, einen gewissen
Ersatz für den Verlust seines Sohnes bieten.
Aber es sollte nicht sein. Barbara Steiner hatte Heimweh nach
Deutschland. In ihren Augen war Edinburgh kein Zentrum für [995] klassische Musik.
Es wurde zwar viel Musik gemacht, aber der Großteil davon war mittelmäßig. Das
Klima war feucht und trostlos. Barbara war der Überzeugung, daß das Wetter ihre
chronische Bronchitis verschlimmere. Oft sagte sie, nur halb im Scherz, daß sie
eine Sängerin mit Dauerhusten geworden sei, aber der Husten war hartnäckig und
ernster, als sie ahnte.
Was Heather, Jacks Schwester, Miss Wurtz in einem einzigen
Telefongespräch vermittelt hatte, war ein Bild ihrer Mutter als eines Menschen,
der sich unentwegt beklagte. Laut Barbara waren schottische Männer (ausgenommen
William) unattraktiv und kleideten sich schlecht. Die Frauen waren noch
unattraktiver und wußten überhaupt nicht, wie man sich anzog. Der Whisky war
ein Fluch, und zwar nicht nur wegen der Trunksucht, die er hervorrief (William
trank nicht), sondern auch, weil er die Geschmacksknospen abtötete, so daß die
Schotten gar nicht merkten, wie schauderhaft ihr Essen war. Kilts sollten wie
Lederhosen nur von Kindern getragen werden, glaubte jedenfalls Barbara.
(William wäre es nicht im Traum eingefallen, einen Kilt zu tragen.) Im Sommer,
wenn das Wetter endlich besser wurde, kamen zu viele Touristen, besonders
Amerikaner. Barbara war allergisch gegen Wolle – kein Tartan würde ihr je
zusagen.
Ihre Mutter, erfuhr Miss Wurtz von Heather, habe schon ein einziges
Kind als derart drückende Last empfunden, daß sie sich Williams Wunsch nach
ein, zwei weiteren verschloß. Sie war nicht die geborene Mutter, dennoch
reduzierte sie ihre Lehrtätigkeit um die Hälfte, um mehr Zeit für Heather zu
haben, obwohl die mit dem Säugling verbrachte Zeit die reinste Qual für sie
war.
Barbara Steiner war ein Scheidungskind. Sie hatte solche Angst vor
Trennung und Scheidung, daß sie William regelmäßig verdächtigte, er plane, sich
von ihr scheiden zu lassen. Das stimmte nicht; tatsächlich war William seiner
ständig nörgelnden Frau (nach Heathers Worten) »sklavisch ergeben«. Er gab sich
die [996] Schuld dafür, daß sie unglücklich war, weil er sie ihrer geliebten
Heimat entrissen hatte; er bot ihr an, wieder nach Deutschland zu ziehen, aber
Barbara war überzeugt, daß ein solcher Schritt ihren Mann so unglücklich machen
würde, daß er nur um so schneller dazu getrieben würde, sich von ihr scheiden
zu lassen.
Vor der Trennung ihrer Eltern hatte Barbara Steiner die Skiurlaube
geliebt, die die Familie jeden Winter und jedes Frühjahr in den
österreichischen oder Schweizer Alpen machte. Nach der Scheidung waren diese
Reisen, die Barbara nun allein mit ihrer Mutter oder allein mit ihrem Vater
unternommen hatte, zu einer ihr
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