Bis in alle Ewigkeit
Langeweile und Müdigkeit.
»Ich würde mich glücklich schätzen, wären sie meine Freunde!« Wolodja warf sich die Brotkugel in den Mund. »Jeder Bösewicht und Zyniker ist hundertmal interessanter als ein sentimentaler Langweiler.«
Sweschnikow wollte etwas erwidern, unterließ es aber. Tanja küsste ihren Vater auf die Wange, flüsterte: »Papa, lass dich nicht provozieren«, und verließ das Zimmer.
Die verbliebenen drei Tage bis zum Geburtstag lebte jeder wieder sein Leben. Wolodja verschwand am frühen Morgen und kehrte manchmal erst weit nach Mitternacht wieder zurück. Er war dreiundzwanzig. Er studierte an der philosophischen Fakultät, schrieb Gedichte, besuchte diverse Zirkel und Gesellschaften und war in eine zehn Jahre ältere, geschiedene Literatin verliebt, die unter dem Namen Renata bekannt war.
Andrej und Tanja gingen in ihre Gymnasien. Tanja nahm ihren Bruder, wie versprochen, mit ins Künstlertheater, in den »Blauen Vogel«, der Professor leistete Dienst im Lazarett des Heiligen Pantelejmon in der Pretschistenka-Straße, hielt Vorlesungen an der Universität und bei Frauenkursen, schloss sich abends in seinem Laboratorium ein, arbeitete bis tief in die Nacht und ließ niemanden herein. Wenn Tanja fragte, wie es dem Ratz Grigori III. gehe, antwortete der Professor: »Ausgezeichnet.« Mehr bekam sie aus ihm nicht heraus.
Am Morgen des 25. hielt der Professor beim Frühstück eine kleine Rede: »Du bist jetzt richtig erwachsen, Tanja. Das ist traurig. Umso mehr, da Mama diesen Tag nicht mehr erlebt. Du wirst nie mehr klein sein. Dich erwartet so viel Schönes, Aufregendes, vor dir liegt ein großes und glückliches Stück Leben. Und das alles in diesem neuen, erstaunlichen und seltsamen zwanzigsten Jahrhundert. Ich wünsche mir, dass du Ärztinwirst, dass du nicht vor der praktischen Medizin in die abstrakte Wissenschaft fliehst wie ich, sondern Menschen hilfst, ihre Leiden linderst, sie rettest und tröstest. Aber lass nicht zu, dass der Beruf alles andere verschlingt. Wiederhole nicht meine Fehler. Die Jugend, die Liebe …«
Beim letzten Wort musste er husten und wurde rot. Andrej schlug ihm auf den Rücken. Tanja lachte plötzlich los.
Den ganzen Tag, den ganzen 25. Januar 1916, lachte sie wie verrückt. Der Vater steckte ihr die kleinen Brillantohrringe an, die sie im Schaufenster des Juweliergeschäfts auf der Kusnezki-Brücke lange bewundert hatte. Ihr älterer Bruder Wolodja überreichte ihr einen Gedichtband von Igor Sewerjanin und machte, statt ihr zu gratulieren, wie immer spöttische Scherze. Andrej hatte ein kleines Aquarell-Stillleben gemalt. Ein Herbstwald, ein Teich, bedeckt mit Entengrütze und gelben Blättern.
»Ihr Fräulein Schwester ist im besten Frühlingsalter, und Sie malen nichts als Welken«, bemerkte Doktor Fjodor Fjodorowitsch Agapkin, Sweschnikows Assistent.
Tanja konnte ihn nicht leiden. Er war ein primitiv schöner Mann mit glattgekämmtem kastanienbraunem Haar, mädchenhaften Wimpern und dicken schmachtenden Lidern. Sie hatte ihn nicht eingeladen, aber er war trotzdem erschienen, schon am Morgen, zum Frühstück, und hatte dem Geburtstagskind eine Stickgarnitur überreicht. Tanja hielt nichts von Handarbeiten und verehrte Agapkins Geschenk dem Dienstmädchen Marina.
Am meisten rührte und amüsierte Tanja das Geschenk der Kinderfrau Awdotja. Die alte Frau, eine einstige Leibeigene von Tanjas Großvater, war inzwischen fast taub und voller Runzeln und gehörte längst zur Familie. Zum Namenstag schenkte sie Tanja, genau wie im vorigen und im vorvorigen Jahr, die immer gleiche Puppe Luisa Genrichowna.
Diese Puppe war viele Jahre lang Gegenstand von Kämpfen und Konflikten gewesen. Sie saß stets auf einer Kommode im Zimmer der Kinderfrau, ohne jeden Nutzen. Ein grünes Samtkleid mit Spitze, weiße Strümpfe, Wildlederschuhchen mit Smaragdknöpfen, ein Hut mit Schleier. Als Tanja noch klein war, hatte sie nur an Feiertagen die rosa Wange und die elastischen blonden Locken der Puppe berühren dürfen.
Vor rund dreißig Jahren hatte die Kinderfrau die Puppe bei einer Kinderweihnachtsmatinee im Maly Theater gewonnen, für Natascha, die jüngere Schwester von Tanjas Vater. Natascha, der Liebling der Kinderfrau, war ein ordentliches, stilles Mädchen gewesen, ganz anders als Tanja. Sie hatte Luisa Genrichowna nur angeschaut.
Tanja küsste die Kinderfrau, setzte die Puppe auf den Kaminsims und vergaß sie umgehend, voraussichtlich bis zum nächsten Jahr.
Am
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