Bis in alle Ewigkeit
Abend fuhren Kutschen in der Jamskaja-Straße vor. Festlich gekleidete Damen und Herren mit Blumen und Geschenkpäckchen betraten das Haus und fuhren im Lift mit den Spiegeln in den dritten Stock hinauf.
Universitätsprofessoren mit ihren Frauen, Ärzte aus dem Lazarett, der Anwalt Brjanzew – ein molliger goldrosa blonder Mann, der aussah wie ein gealterter Engel von einem Rubensgemälde. Der Apotheker Kadotschnikow in seinen obligaten Filzstiefeln, die er wegen seiner kranken Gelenke das ganze Jahr trug, aber zur Feier des Geburtstages in einer Hose mit Biesen, einem Gehrock und gestärkter Wäsche. Tanjas Freundinnen aus dem Gymnasium, die Dramatikerin Ljubow Sharskaja, eine alte Freundin des Professors – eine große, schrecklich dünne Dame mit einem hochtoupierten roten Pony bis zu den Brauen und der üblichen Papirossa im dunkelroten Mundwinkel. Einige finstere, hochmütige Philosophiestudenten, Freunde von Wolodja,und schließlich seine Liebe, die geheimnisvolle Renata, deren Gesicht vom Puder bläulich war und deren Augen einen ovalen Trauerrahmen hatten.
Diese buntgemischte Gesellschaft lief im Wohnzimmer herum, lachte, spottete, tratschte, trank Limonade und teuren französischen Portwein und füllte die Aschenbecher mit Zigarettenkippen und Mandarinenschalen.
»Im Haus der Dichter gibt es einen literarischen Abend, mit Balmont und Block. Gehst du hin?«, flüsterte Soja Wels, eine Klassenkameradin von Tanja, ein schüchternes stämmiges Mädchen. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen. Die riesigen blauen Augen sahen aus wie zwei Stückchen Himmel zwischen düsterem Wolkengekräusel.
Renata, die in einer anderen Ecke des Zimmers einsam in einem Sessel saß und rauchte, brach plötzlich in ein helles Nixenlachen aus, so laut, dass alle verstummten und sie anstarrten. Auch sie verstummte, ohne zu erklären, was sie so erheitert hatte.
»Na, bist du zufrieden? Amüsierst du dich?«, fragte der Professor und küsste seine Tochter im Vorbeigehen auf die Wange.
»Aber ja!«, flüsterte Tanja.
Beim Abendessen sprachen sie über Rasputin. Die Dramatikerin bat den Anwalt Brjanzew, von der nasenlosen Bäuerin zu erzählen, die einige Jahre zuvor ein Attentat auf den Wunderheiler der Zarin verübt hatte. Die Bäuerin Chionija Gussewa hatte Rasputin in seinem sibirischen Heimatdorf Pokrowskoje einen Dolch in den Bauch gestoßen, als er nach dem Frühgottesdienst aus der Kirche kam. Die Zeitungen überschlugen sich. Die Journalisten wetteiferten miteinander um die wahnwitzigsten Hypothesen. Der Wunderheiler überlebte. Die Bäuerin wurde für unzurechnungsfähig erklärt und in eine Heilanstalt für Geisteskranke in Tomsk gesperrt.
»Wäre es zu einem Prozess gekommen, dann hätten Sie bestimmtihre Verteidigung übernommen, Roman Ignatjewitsch«, sagte die Dramatikerin, während sie sich akkurat ein Stück vom Putenfilet abschnitt.
»Auf keinen Fall.« Der Anwalt runzelte die Brauen und schüttelte den blonden Lockenkopf. »Als noch offen war, ob es zum Prozess kommen würde, habe ich das entschieden abgelehnt.«
»Warum?«, fragte Wolodja.
»Aus Possenspielen halte ich mich lieber heraus. Sie verhelfen einem zwar zu schnellem Ruhm, mitunter auch zu gutem Geld, aber sie sind schlecht für den Ruf. Hätte die Gussewa ihn ins Herz gestochen und getötet, dann hätte ich sie mit Vergnügen verteidigt und bewiesen, dass sie durch ihre mutige Tat Russland gerettet hat.«
»Was war eigentlich mit ihrer Nase?«, platzte Soja heraus und wurde erneut puterrot.
»Syphilis wahrscheinlich.« Der Anwalt zuckte die Achseln. »Obwohl sie behauptete, sie habe nie an dieser beschämenden Krankheit gelitten und sei überhaupt Jungfrau.«
»Aber ist sie denn nun verrückt oder nicht?«, fragte Doktor Agapkin.
»Ich würde sie nicht als psychisch gesund bezeichnen«, antwortete der Anwalt.
»Und Rasputin? Sie haben ihn doch aus der Nähe gesehen. Was ist er Ihrer Meinung nach? Ein Verrückter oder ein kaltblütiger Gauner?«
»Ich habe ihn nur ein Mal gesehen, zufällig, im ›Jar‹. Er hat dort ein unwürdiges Trinkgelage mit Zigeunern veranstaltet.« Der Anwalt war des Themas sichtlich überdrüssig, er wollte sich endlich dem Stör in Aspik widmen.
»Aber warum nimmt dieser schmutzige sibirische Bauer so viel Platz ein in der Politik, in den Köpfen und Herzen der Menschen?«, fragte die Dramatikerin nachdenklich.
»Schreiben Sie doch ein Stück über ihn«, schlug Wolodja vor. »Übrigens hat Tanja eine von Papas
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