Bis in alle Ewigkeit
lies doch!«
Sofja griff nach der Visitenkarte.
»›Valeri Pawlowitsch Kulik‹. Wer ist das?«
»Du bist gut! Dein ehemaliger Dozent! Ein Professor von deiner Biofakultät! Na? Erinnerst du dich? Hör mal, Sofie, bist du wenigstens imstande, eine wichtige positive Information aufzunehmen? Das ist doch toll! Das ist super! Er war vorgestern bei uns im Sender. Wir haben uns in der Raucherecke zufällig getroffen. Er schaut mich an, ich ihn. Er fragt: ›Wo sind wir beide uns schon mal begegnet?‹ Ich hab nur dumm gekuckt und konnte mich auch nicht erinnern. Dann ist es ihm eingefallen. Auf deiner Absolventenfeier an der Uni, da hast du uns einander vorgestellt. Also, er hat mich nach dir ausgefragt, sich erkundigt, wie es dir geht und wo du arbeitest. Er hat gesagt, er sucht dringend nach dir.«
»Da muss er doch nicht lange suchen«, sagte Sofja leise, ohne die Augen zu öffnen, »in der Fakultät haben sie noch meine Adresse und meine Telefonnummer.«
»Das hat er alles, aber du gehst seit fast einer Woche nicht ans Telefon, und da dachte er, du wärst vielleicht umgezogen oder hättest eine neue Telefonnummer. Na, und da laufe ich ihm über den Weg. Das ist Schicksal, Sofie! Nun lies schon, was auf der Visitenkarte steht.«
»Biology tomorrow«, las Sofja vor. »Internationale Nichtregierungsorganisation ›Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Initiativen‹. Institut für experimentelle Biotechnologien. Geschäftsführender Direktor Valeri Pawlowitsch Kulik.«
»Ruf ihn an, gleich heute! Du siehst ja, er hat sogar seine Mobilfunknummer dazugeschrieben. Er möchte dir eine Stelle anbieten. Sofie, das bedeutet ein ganz anderes Einkommen, ganz andere Perspektiven. Ich freue mich schrecklich für dich!«
»Vor einem halben Jahr habe ich meinen Lebenslauf dorthin geschickt«, sagte Sofja, »und sie haben mich abgelehnt.«
Nolik machte ein langes Gesicht.
»Na … Alles fließt, alles verändert sich«, entgegnete er tiefsinnig. »Jetzt wollen sie dich jedenfalls.«
Sofja zog das Fieberthermometer hervor. Neununddreißig fünf.
»Soll ich über Nacht hierbleiben?«, fragte Nolik. »Ich muss früh zum Synchron, für rund drei Stunden. Wenn du willst, komme ich danach gleich wieder her, ja? Ich könnte bleiben, bis deine Mutter kommt, und sie mit dem Taxi abholen. Ich habe nur kein Geld. Sie zahlen erst Ende des Monats.«
»Ich hole sie selber ab, bis morgen Abend bin ich wieder fit. Aber bleib ruhig hier. Wozu sonst die Ausgabe für das Fieberthermometer?«
»Wieso?«
»Na ja, das braucht man doch nur, damit jemand ›ach!‹ sagt, wenn er sieht, wie hoch das Fieber ist. Wenn man als Kranker allein ist, sagt keiner ›ach!‹. Hol den Wodka aus dem Tiefkühler, verdünn ihn mit Wasser, feuchte ein Handtuch damit an und leg es mir auf die Stirn. Aber nicht trinken, ja? Wenn du trinkst, werfe ich dich raus.«
Sofjas Zunge verhedderte sich. Nolik brachte sie zur Couch und ging in die Küche. Sofja kam der Gedanke, dass nicht die Krankheit schuld war an ihrem Fieber, sondern die Aufregung.
»Biologie morgen« – das war der Traum jedes Wissenschaftlers, vor allem junger Spezialisten, aber es war furchtbar schwer, dort reinzukommen, selbst wenn man Englisch und Deutsch sprach, einen Doktortitel hatte und genau wusste, dass man für die Biologie geboren war.
Sofja befasste sich mit der Apoptose, dem programmierten Tod, besser gesagt, dem Selbstmord der lebenden Zelle. Das Thema war seit einigen Jahren sehr in Mode, weil es die Frage des Alterns und einer möglichen Lebensverlängerung berührte.
Jede Minute sterben in jedem lebendigen Organismus Milliarden Zellen, und andere werden geboren, aber von Minute zu Minute verschiebt sich das Verhältnis zwischen beiden immer weiter in Richtung Tod. Von allem, was lebt, sind nur Amöben, Bakterien und Krebszellen unsterblich. Sie können ewig leben. Sie fressen und teilen sich, teilen sich und fressen.
»Das heißt, wir können etwas von ihnen lernen«, hatte Professor Michail Sweschnikow schon 1909 in einer seiner Vorlesungen gesagt.
2002 erhielten drei Wissenschaftler, zwei Engländer und ein Amerikaner, den Nobelpreis für die Entdeckung des genetisch programmierten Zellsterbens. Sie hatten unterm Mikroskop beobachtet, wie ein nur einen Millimeter langer Fadenwurm lebt und stirbt, und die Gene gefunden, in denen der Selbstmord der Zelle programmiert ist. Und dann hatten sie nachgewiesen, dass auch das Genom des Menschen solche Gene enthält und diese die
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