Bis in den Tod hinein
es ja selbst, irgendwann muss ich kürzertreten. Ewig geht das so nicht weiter. Aber behalten Sie das bitte für sich.«
Carl vom Stein tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, bevor er entgegnete: » Alles hier oben weggeschlossen! Also dann, schlafen Sie sich mal ein bisschen aus. Und danach fahren Sie zu Paolo und trinken einen guten sizilianischen Wein mit ihm. Das macht ihn ganz schnell wieder zahm! Kann ich denn vielleicht noch was für Sie tun?«
» Allerdings«, antwortete die Dezernatsleiterin und zündete endlich den Motor. » Wenn heute oder morgen irgendeine Leiche unter mysteriösen Umständen aufgefunden wird– dann rufen Sie bitte jemand anders an. Ganz egal, wie mysteriös die Umstände auch immer sein mögen!«
Begleitet vom verständnisvollen Schmunzeln des Staatsanwalts schloss Castella ihre Fahrzeugtür, setzte den Wagen ein Stück zurück und machte sich dann schließlich auf ihren Weg, der sie weit weg vom LKA und von allen Verbrechen der Hauptstadt führen sollte. Zumindest für eine Weile.
70
Paul Drexler war hellwach. Seinen glasigen Blick ins Leere gerichtet lag er, so wie immer, auf seinem Bett. Willens, aber unfähig, sich zu regen.
Anselm hatte sich seinem Vater anvertraut. Von jedem einzelnen Schritt seiner Mission hatte er dem alten Herrn berichtet. Davon, dass er sich manchmal stundenlang nicht einen einzigen Millimeter bewegt hatte, während er vor den Häusern seiner späteren Opfer gelauert und darauf gewartet hatte, dass sie etwas von ihren Gewohnheiten preisgeben würden. Auch davon, dass er bis zuletzt mit sich haderte, ob seine Verse auch wirklich mit den Intentionen übereinstimmten, die sein Vater in dessen Regelwerk gelegt hatte. Später dann, nachdem Linda Bartholy ihn schließlich dabei angeführt hatte, sein Werk wirklich in die Tat umzusetzen, hatte Anselm seinem Vater dann über jeden Fortschritt seiner Mission Bericht erstattet. Er hatte ihm die Fotos gezeigt und ihn detailliert darüber informiert, auf welche unerbittliche Weise die Sünder für ihre Missetaten gebüßt hatten. Und er hatte ihm immer wieder voll Stolz vorhergesagt, welchen gewaltigen Einfluss ihr gerechter Tod eines Tages auf die ganze Menschheit haben würde.
Es war nicht leicht mit dir, dachte sich Paul Drexler nun, dessen Verstand während der ganzen Zeit vollkommen klar gewesen war. Aber es hat sich gelohnt. Ich habe dich gelehrt, was es heißt, ein Mensch zu sein. Nein, du hast mir keinen Enkel geschenkt, den Stammbaum der Drexlers hast du beendet. Aber das, wofür wir gestorben sind, wird unsere stolze Familie länger überleben lassen, als alle Nachkommen dieser Welt es bewerkstelligt hätten.
» Ich werde bei Ihnen bleiben, Herr Drexler«, versprach Schwester Cecilia ihrem Patienten mit zärtlichem Klang in der Stimme. » So, wie Ihr Sohn es sich von mir gewünscht hätte.«
Cecilia war zwischenzeitlich informiert worden, dass sich ihr Patient nach den Geschehnissen der vergangenen Nacht im Hospital befand. Sobald es ihr möglich gewesen war, hatte sie sich dorthin auf den Weg gemacht.
Was bist du nur für ein liebes schwaches Kind, dachte Paul Drexler, der die Güte und Nachsicht seiner Krankenschwester vom ersten Tag an abgelehnt hatte. Kümmerst dich um einen alten schwachen Mann, der keinen Wert mehr für die Gesellschaft hat. Du solltest dich den Starken zuwenden und sie auf ihrem Weg in eine glanzvollere Zukunft unterstützen, anstatt am Sterbebett eines nutzlosen Veteranen zu wachen wie ein Hund am Grab seines Herrn.
» Ich weiche nicht von Ihrer Seite«, versprach Cecilia und lächelte dabei so, dass Drexler ihr glaubte.
Dann erhob sie sich, entnahm ihrer Tasche ein Öl, tropfte sich etwas davon auf ihre Hand und begann, es ihrem Patienten sanft und behutsam auf der Brust einzureiben.
Schwester Cecilia konnte nicht ahnen, was Drexler in der unzugänglichen Einsamkeit seiner abgeschiedenen Gedankenwelt über sie dachte. Doch selbst wenn sie es gewusst hätte, wäre sie zu keinem Zeitpunkt auch nur ein bisschen weniger liebevoll zu ihm gewesen. Alt, krank und hilflos, wie er war.
71
» Ich habe uns was reingeschmuggelt«, verriet Boesherz spitzbübisch und zwinkerte seiner Kollegin zu.
Olivia war über die Ereignisse der vergangenen Nacht bislang nur oberflächlich informiert, das Meiste hatte sie den Nachrichten entnommen. Ihr eingegipstes Bein war nach wie vor hochgelegt, sodass sie ihr Krankenbett noch immer nicht verlassen konnte.
» Wenn das die Oberschwester
Weitere Kostenlose Bücher