Bis in den Tod hinein
sieht, fliege ich raus«, scherzte sie, während Severin eine Flasche Quercus und zwei Gläser aus seinem Rucksack hervorzauberte.
» Das gilt als Medizin, dieser Wein hat heilende Wirkung«, versprach er schmunzelnd und zog mit einem leisen Ploppen den Korken aus der Flasche, die er bereits in seiner Wohnung geöffnet hatte.
Nachdem er eingeschenkt und seiner Kollegin ein Glas gereicht hatte, sagte er in feierlichem Ton: » Ohne dich, liebe Olivia, wäre Tanja van Beuten jetzt tot. Du hast den Fall gelöst und sie damit gerettet!«
Während sich Boesherz nun einen guten Schluck seines Lieblingsweins die Kehle hinunterlaufen ließ, reagierte seine Kollegin skeptisch.
» Ich bin mit dem Besuch bei Moldenhauer nur einem Instinkt gefolgt«, relativierte sie das Lob. » Und gelöst hast du den Fall.«
Boesherz schloss einige Sekunden lang genussvoll die Augen, sann noch einmal dem Aroma des Quercus nach und setzte sich erst dann zu Olivia ans Bett.
» Ich bin nur ein Koch, der ein Menü komponiert«, erklärte er. » Die Zutaten liefern andere– und ohne diese Zutaten könnte ich nichts kochen.«
Endlich nahm auch Olivia einen Schluck Rotwein.
» Ich habe nur Jacks Botschaft an dich weitergegeben«, wehrte sie sich noch immer gegen die Anerkennung ihres Kollegen, die ihr wie ein unverdienter Tröstungsversuch vorkam.
» Und zwar genau so, wie er es von dir verlangt hat! Hättest du sie einfach ausgeplaudert, als Linda noch im Raum war, hätten wir ein gewaltiges Problem bekommen. Also, ich trinke auf dich, deine Gesundheit und auf eine lange, erfolgreiche Zusammenarbeit!«
Olivia gab ihren Widerspruch auf. Anstatt weiter mit ihm über die Verteilung der Lorbeeren zu streiten, beäugte sie Severin nun mit einem raffinierten Schmunzeln, was diesem nicht entging.
» Was ist los?«, wollte er wissen und schenkte dabei noch einmal nach.
» Tu doch nicht immer so«, antwortete Olivia, die einen fragenden Blick dafür erntete.
» Wie tue ich denn immer?«
» Das Gerede darüber, dass jede Rückfrage sich immer nur mit Details aufhält, dass andere Dinge viel wichtiger sind, du nur Puzzleteile zusammensetzt oder irgendwelche Menüs kochst. Du selbst hast mir beigebracht, dass man den Menschen ihre persönlichen Geschichten und Eigenschaften ansehen kann. Und weißt du, was ich an dir sehe?«
Boesherz wurde neugierig. Er richtete unwillkürlich seine Krawatte und kontrollierte grundlos den Sitz seiner Manschettenknöpfe.
» Ich höre.«
Olivia nahm jetzt noch einen Schluck Quercus, legte sich dann bequem in ihre Kissen zurück und begann.
» Du bist eitel und bescheiden zugleich. Du trägst immer nur sehr schlicht geschnittene Anzüge, aber aus dem besten Stoff. Dazu die edelsten Krawatten und Accessoires, die zwar kostspielig sind, aber nicht dick auftragen. Dazu dein Phaeton– vom Feinsten, aber nicht protzig. Deine Frisur sitzt, die italienischen Schuhe sind handgenäht und sogar im Winter jederzeit poliert. Du willst nicht angeben, aber es wäre dir auch nicht recht, wenn es keinem auffiele.«
» Deine Schlussfolgerung?«
» Du kannst mir nicht erzählen, dass du einfach nur deinen Fall aufklären und dann in deiner geschmackvollen Wohnung deinen geschliffenen Quercus trinken willst.«
» Interessant. Was will ich denn dann?«, forderte Boesherz Olivia weiter heraus.
» Du willst es loswerden, aber man muss dich erst bitten.«
Severin stellte sein Weinglas ab, verschränkte mit betonter Gemächlichkeit die Arme vor der Brust und hob dabei seinen Blick wie ein Lehrer, der von den Ausführungen seiner Schülerin ebenso überrascht wie angetan ist.
» Und? Bittest du mich?«
Olivia strahlte über das ganze Gesicht, als sie entgegnete: » Allerdings, du Blödmann! Also, wie hast du es gemacht?«
Boesherz musste sich offensichtlich ein Lächeln verkneifen. Dann erhob er sich wortlos, schob seinen Stuhl beiseite und begann schließlich, vor Olivias Krankenbett auf und ab zu gehen, während er dabei sein Vorgehen zu erklären begann.
» Das Erste, was mir aufgefallen ist, war, dass Jack über erstaunlich gute Fachkenntnisse auf den verschiedensten Gebieten verfügt hat. Fassadenkletterei, Rattenfolter, darüber, wie man nicht in die üblichen Fallen tappt. Er war erstaunlich breit gefächert gebildet. Nach Jureks Tod haben wir darüber gesprochen, dass er immer unvorsichtiger wird. Auch das war eine hochinteressante Erkenntnis. Ich hatte die Vermutung, dass er beginnt, uns langsam auf seine Fährte zu
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