Bis in den Tod hinein
an der Wand– Tanja hätte nur ihre Hand danach ausstrecken müssen.
» Wie die Qualen des Tantalos«, stellte Boesherz fest und erntete einen fragenden Blick seines jüngeren Kollegen. » Schlag’s nach«, fügte er trocken hinzu.
» Ich soll dir schöne Grüße von Venske ausrichten«, sagte Dennis nun, während immer mehr Kriminalbeamte das Haus betraten. » Er sagt, er hätte an keinem seiner Laienschauspieler jemals so viel Spaß gehabt wie an uns. Wir sollen uns morgen in seine Kartei aufnehmen lassen!«
» Ich denke drüber nach«, scherzte Boesherz. » Und er hat dich nicht belogen: Er kann wirklich überzeugender sterben als seine Darsteller.«
Dennis lachte.
» Also, auf seine DVD mit den schlechtesten Fernsehtoden kommt er jedenfalls nicht! Wie ich ihm gesagt habe: Einfach trocken hinfallen und liegen bleiben– der Tod sieht nach nichts aus.«
Boesherz schmunzelte und trat dann näher an Dennis heran, der während des Gesprächs interessiert den Dachboden in Augenschein nahm.
» Was du heute in der kurzen Zeit inszeniert hast, war wirklich bemerkenswert. Ohne die Show bei Venske wäre Linda einfach nach Hause gefahren, und Tanja wäre morgen tot gewesen. Du und Venske, ihr habt sie gerettet.«
» Du hast sie gerettet mit deiner genialen Strategie: Derjenige, den wir angeblich für den Entführer halten, ist tot und kann seine Unschuld nicht mehr beweisen. Parallel wurde Tanja angeblich irgendwo bewusstlos aufgefunden. Bartholy hatte gar keine Wahl! Sie hätte sogar herkommen müssen, wenn sie unser Spiel durchschaut hätte.«
Boesherz verzichtete auf einen weiteren Kommentar und verneigte sich nur formvollendet. Doch eine letzte Frage hatte Dennis noch.
» Wie hast du es eigentlich hinbekommen, einen vollkommen Unschuldigen so überzeugend zum Entführer zu erklären?«
» Das, mein lieber Dennis, nennt man die hohe Kunst der Kriegsführung: Lass deinen Gegner erkennen, was du vorhast. Aber erst wenn er gleichzeitig erkennt, dass er nichts mehr dagegen tun kann…«
Mit diesen Worten drehte sich Boesherz schließlich auf dem Absatz seines edlen Lederschuhs um, ließ Dennis mit den Kollegen zurück und machte sich nach einem langen, ereignisreichen Arbeitstag endlich auf den Weg nach Hause.
69
Es war früher Morgen, als Carl vom Stein die Leiterin des Dezernats für Delikte am Menschen auf dem Parkplatz des LKA vor ihrem Wagen antraf.
» Der frühe Vogel fängt den Wurm!«, grüßte der sichtlich gut gelaunte Staatsanwalt die weit weniger erholt wirkende Castella.
» Der frühe Vogel kann mich mal«, gab sie entkräftet von sich. » Ich komme nicht, ich mache Feierabend!«
Es hatte die ganze Nacht gedauert, die Ereignisse des Vortags zu besprechen, zu protokollieren und die Einsätze der Spezialisten im Haus der Drexlers und am Fundort von Tanja van Beuten in der Nähe von Neuruppin mit den Brandenburger Kollegen zu koordinieren. Castella hatte darüber hinaus ständigen Kontakt mit dem Krankenhaus gehalten, in dem man Tanja inzwischen stabilisiert hatte und mittlerweile gute Chancen für ihre vollständige Genesung sah.
» Und unser Neuer? Hat es sich gelohnt, seinen Methoden zu vertrauen?«
Vom Stein würde sich in etwa einer Stunde mit dem Berliner Innensenator treffen und ihm voller Stolz von der Aufklärung der beiden dringlichsten Kriminalfälle der vergangenen Wochen berichten.
» Da sind mir ja sogar die Marotten von Julius Kern noch lieber«, winkte Castella erschöpft ab, während sie die Tür ihres Fahrzeugs öffnete. » Ich habe für Boesherz heute Nacht sogar Theater gespielt. Fragen Sie bitte nicht weiter!«
» Das habe ich nicht vor«, antwortete der unverkennbar gut gelaunte vom Stein. » Wie ich ja gestern schon sagte: Wer aufklärt, hat recht. Also, richten Sie Ihrem Boesherz die besten Grüße von mir aus!«
» Grüßen Sie ihn lieber selbst«, winkte Castella ab und stieg in ihr Auto ein. » Ich mache jetzt erst mal ein paar Tage frei.«
» Sie haben es sich verdient. Fahren Sie mit Ihrem Mann weg?«
» Das ist ein schwieriges Thema…« Castella ließ sich in ihren Sitz zurücksinken und schloss einen Moment lang die Augen. » Ich wohne zurzeit im Hotel…«
Der Staatsanwalt reagierte überrascht.
» Das wusste ich ja gar nicht. Ehestreit?«
Carl vom Stein kannte Castella und ihren Mann Paolo gut. Sie hatten sogar schon ein paar Mal gemeinsam zu Abend gegessen.
» Ich arbeite ihm einfach zu viel, und damit hat er recht. Aber was soll ich machen? Ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher