Bis ins Koma
und sagen: Du bist okay, Mann. Aus dir wird mal was. Hau rein!
Als eine schneeweiße Stretchlimousine an ihm vorbeirollt und er durch die getönten Scheiben nichts erkennt als eine blonde Paris-Hilton-Haarpracht und riesige Sonnenbrille, hebt er einfach mal kurz die Hand und siehe da: Die Sonnenbrille winkt tatsächlich zurück! Geil.
Der Weg zum Studio erscheint ihm kürzer als beim ersten Besuch, fast zu kurz. Zum ersten Mal begreift er, was die Philosophen meinen, wenn sie sagen: Der Weg ist das Ziel. Jetzt könnte er darüber einen drei Seiten langen Text schreiben. Aber jetzt fragt ihn natürlich keiner.
In der Studiotür stößt er mit einem Kameramann zusammen, der mit einem Feuerzeug und einer Schachtel Zigaretten gerade nach draußen will.
»Ey, der Marvin! Cool«, sagt er und schlägt ihm mit dem Feuerzug aufs Schulterblatt. »Ich bin der Wargo. Kommst echt gut rüber auf dem Bildschirm.«
Marvel grinst. »Freut mich.«
»Es gibt Typen«, redet der Kameramann weiter, »die sehen im normalen Leben nach gar nichts aus, wie ein Schluck Milch, weißt du, und auf dem Bildschirm beginnen die auf einmal zu leuchten. Das ist ein Wunder.«
»Ja«, sagt Marvel und denkt: Hält er mich für ein Glas Milch?
»Die warten schon auf dich«, sagt Wargo.
»Okay«, sagt Marvel und macht mit der rechten Hand lässig ein Victoryzeichen.
Marvel wird ins Büro des Produktionsleiters geschickt. Der heißt Horst Burckhardt, ist ungefähr eins neunzig groß, drahtig, hat schlohweißes Haar und begrüßt Marvel mit einem Händedruck, der Marvel fast in die Knie gehen lässt. »Wie nennen dich deine Freunde?«
»Marvel.«
»Ah. Und was soll das heißen?«
Marvel wurde rot. »Weiß auch nicht. Ich glaube, das ist englisch und heißt so was wie Wunder.«
»Na, da wollen wir mal sehen. Ich bin der Hotte«, sagt er, »wie das Pferd. Wir duzen uns hier alle. Also, du hast noch keinen Vertrag. Das muss sich sofort ändern. Dann lass uns mal.«
Er setzt sich auf die Schreibtischkante und hält Marvel einen Vortrag von ungefähr fünf Minuten, worin er ihm klarmacht, dass die Gagen für die Schauspieler feststehen und dass sie nicht hoch seien, weil das Budget für die Soap nur halb so fett ist wie
ursprünglich veranschlagt, dass an allen Enden gespart werden müsse, also auch an den Gagen der Schauspieler. Dass sie alle aber leidenschaftlich bei der Sache seien, und wenn die erste Staffel ein Erfolg wird, gebe es bei der zweiten Staffel garantiert mehr Geld, weil dann auch mehr Werbeeinnahmen kommen.
»Bis hier konntest du mir folgen?«, fragt Hotte.
Marvel nickt.
»Gut. Also, was deine Rolle betrifft: Es ist eine Nebenrolle, klar? Du tauchst in der zweiundvierzigsten Folge zum ersten Mal kurz auf. Dann gibt es eine Szene zwischen dir und deinem Vater in der fünfundvierzigsten. Die ist auch nur kurz, aber du und dein Vater, ihr habt dann zwei Folgen später einen richtig langen Dialog. Der ist wichtig. Verstehst du? Das Verhältnis zwischen dir und deinem Vater ist kompliziert.«
»Klar«, sagt Marvel so cool, als habe er alles verstanden.
Hotte runzelt die Stirn. »Wieso klar?«
»Weil normal.« Marvel grinst schief.
»In diesem Monat hast du acht Drehtage über zwei Wochen verteilt.«
Marvel schluckt. »Zwei Wochen?«
Hotte nickt. Er geht zu der Wand, die gepflastert ist mit Drehplänen und Diagrammen und Listen. Er zieht den Kuli von seinem Ohr und tippt auf ein paar Kästchen. »Eher hier und hier. Vier Drehtage in einer Woche.«
Marvel schluckt wieder. »Welche Woche?«, fragt er.
»Die 13. Kalenderwoche. Das ist …«, Hotte beugt sich über seinen Schreibtisch, »… in zwei Wochen.«
Marvel rechnet hektisch. Das könnte die Zeit sein, in der die schriftlichen Abi-Arbeiten fällig sind. Da hätte er schulfrei. Wenn das klappen würde …
Hotte schaut auf, mustert ihn. »Woran denkst du so angestrengt?«
Marvel wird rot. »An nichts«, murmelt er, »an die Schule.«
»Da gibt’s doch keine Probleme?«, fragt Hotte misstrauisch.
»Null Problemo«, sagt Marvel schnell.
»Was hast du denn für einen Notendurchschnitt?«
»2,1.« Das ist zwar etwas geschönt, aber egal.
»Okay. Gut. Das müsste reichen. Die Schulen erteilen schlechten Schülern nie eine Befreiung vom Unterricht.«
»Hab ich mir gedacht.«
»Wir bemühen uns natürlich, den Drehplan so zu gestalten, dass du oft erst am Nachmittag drankommst.«
»Soll ich das mit der Schule regeln?«
»Nein, nein. Das geht seinen
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