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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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geschrieben haben konnte, und das haute ihn regelrecht um. Er kam sich so fies vor. Ein Ekelpaket. Er wollte kein Ekelpaket sein.
    An jenem Abend versuchte er, alles wieder gutzumachen, sozusagen einen frischen Start hinzulegen.
    Marvel spielte den Sanften, den Allesversteher. Er hörte ihr zu, obwohl die Worte zum einen Ohr rein- und zum anderen wieder rausgingen. Aber sie merkte das nicht, denn er blickte ihr, während er nicht zuhörte, die ganze Zeit in die Augen, den Kopf leicht zur Seite geneigt - so als hänge er an ihren Lippen. Er wollte, dass sie sich gut fühlte. Er nickte alles ab, was Miranda von sich gab. Über ihre Freundinnen oder die Mädchen, die NIE ihre Freundinnen werden würden, über nette Lehrer und solche, die ungerechte Noten verteilten.
    Er tat, als fände er jeden ihrer Vorschläge, die Party betreffend, einfach super. Letztlich auch, weil ihm die Fete völlig schnuppe war. Es war nicht seine Party. Er feierte nicht mit Hundertjährigen.
    Aber als es so weit war, räumte er mit ihr die benutzten Teller weg und leerte Aschenbecher. Die Nachbarn hatten sich darauf geeinigt, dass im Treppenhaus geraucht werden durfte. Nachts sollten dann alle Flurfenster offen bleiben.
    Seine Mutter hatte ihm eingebläut, ja nett zu allen Nachbarn zu sein. »Das sind die Menschen, mit denen wir die nächsten Jahre verbringen werden«, hatte sie gesagt. »Und ich möchte, dass es gute Jahre werden.«
    Marvel wollte das auch. Er wollte es für seine Mutter. Seine Mutter sah damals aus wie eine Moorleiche. Schlichtweg zum Heulen. Marvel wusste, dass sie starke Beruhigungsmittel nahm, auch wenn sie nie darüber sprachen.
    Seine Mutter freute sich, dass sie mit den Nachbarn so gut zurechtkamen.
Es gebe ihr, sagte sie, irgendwie einen Halt. Auch deshalb war Marvel nett zu Miranda.
    Und seitdem spielten sie manchmal, wenn es sonntags regnete, in ihrer Wohnung auch wieder Scrabble oder etwas anderes. Wenn seine Mutter Dienst hatte, konnten sie den Computer seiner Mutter benutzen und da Spiele spielen, die er runtergeladen hatte. Miranda war gut in solchen Sachen. Sie war überhaupt in vielen Sachen gut. Sie konnte gut kochen. Sie konnte gut malen: Sie hatte ihm einmal ein Porträt geschenkt, das sie von ihm gemalt hatte. Seine Mutter fand es genial. Sie war gut in der Schule und sie spielte Klavier. Er musste sich ihr Spiel nie anhören, weil ihre Eltern sich Gott sei Dank kein Klavier leisten konnten. Miranda übte in der Schule.
    Sie war von allem zu viel. Sie war auch zu lieb zu ihm. Anhänglich wie eine Klette, und das nervte ihn. Aber er sagte es nicht. Es war nicht wirklich wichtig.
     
    Aber seit diesem Hausfest wartet Miranda oft im Treppenhaus auf ihn. So wie jetzt.
    »Ich habe keine Zeit für Spaghetti«, knurrt Marvel. »Ich muss heute ranklotzen. Mathe. Wir schreiben morgen eine fiese Mathearbeit.«
    »Oh, tut mir leid«, sagt Miranda. »Aber dann vielleicht morgen? Donnerstag hat deine Mutter doch immer Spätschicht.«
    Selbst das weiß Miranda. In diesem Haus bleibt nichts unbemerkt.
    »Ja, morgen ist okay.«
    »Ich mach uns Spaghetti Carbonara!«, ruft Miranda ihm nach.
    Er hört, wie die Zeitschriften ihr vom Schoß gleiten, als sie hastig aufstehen und ihm nachgehen will. Aber das ist echt ihr Problem.

    Er weiß, dass er Miranda schon mit einem kleinen Lächeln glücklich machen könnte. Mit einem kleinen netten Satz. Sie schnappt nach kleinen netten Sätzen wie Schoßhündchen nach einem Stückchen Schokolade. Er hasst Schoßhündchen. Und deshalb kann Miranda nie seine Freundin werden. Marvel gehört zu den Typen, die eine Frau erobern wollen. Für die sie Drachen töten müssen. Oder auf einem Brückengeländer über den tosenden Fluss balancieren. Es muss eine Klassefrau sein. Cool und unnahbar. Eine, um die sich alle reißen. Eine, die alle Kerle abblitzen lässt.
    Aber über so was kann er mit Miranda nicht reden. Das würde sie nicht verstehen. Auch heute nicht, wo sie schon vierzehn ist. Und er zugeben muss, dass sie, objektiv betrachtet, irre gut aussieht, mit ihren kohleschwarzen Augen, der dicken schwarzen Mähne und diesem Mund, der irgendwie ziemlich irritierend ist.
     
    »Da war ein Anruf für dich«, sagt Marvels Mutter statt einer Begrüßung. »Ich hab erst gar nicht kapiert, was die von dir wollen. Ich dachte, die wollen dir irgendwas andrehen. So ein Callcenter. Die rufen ja manchmal aus Bombay an oder so und wollen einem hier in Deutschland einen neuen Handyvertrag

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