Bis ins Koma
…« Er druckst herum. »Ist mir echt ein bisschen peinlich. Kann das Auto mich auch zu Hause einsammeln?«
»Nur wenn wir dadurch nicht zu viel Zeit verlieren.«
»Ich hab ein Rennrad«, sagt Marvin.
»Okay. Gut. Und sonst?«
Marvel deutet auf die Verträge. »Ich hab unterschrieben.«
»Drei Mal?«, fragt Hotte grinsend.
Marvel grinst zurück. »Drei Mal«, sagt er.
»Gut, dann nimm alle drei, lass deine Mutter auch unterschreiben und bring sie morgen zurück, ja? Dann setzt unser Produzent seinen Otto drunter und alles ist rechtskräftig. Ach ja, noch eine Sache: Du brauchst ein Konto. Sollen wir uns darum kümmern?«
»Ich hab ein Schülerkonto. Geht das?«
»Ja, wunderbar. Setz bitte die Kontonummer unten im Vertrag ein, dann haben wir schon wieder ein Problem gelöst.«
Danach folgt ein Rundgang durchs ganze Studio, Marvel darf außer Biggi auch noch fünfzehn verschiedenen anderen Leuten die Hand drücken, und Biggis Regieassistentin, die Pony genannt wird - wahrscheinlich wegen ihrer Frisur - zeigt ihm die Garderoben für die Schauspieler. Marvel muss seine Garderobe mit drei anderen Typen teilen, nur die Hauptrollen haben jeder eine eigene Garderobe. Außerdem die Maske - ein Raum, der ihn an einen Damenfriseur erinnert, mit Spiegel, Waschbecken, Lockenwickler, Trockenhauben, Schminksets etc. - und dann darf er sogar noch einen Blick in die »Drehbuchwerkstatt« werfen. Das Büro ist ein fensterloser Containerraum, wo sich jeweils vier mal zwei Schreibtische gegenüberstehen, ständig ein Drucker und eine Kaffeemaschine surrt und Typen mit tiefen Augenrändern vor ihren Computern brüten, wenn sie nicht gerade neben dem Kaffeeautomaten wichtige Ideen und dramaturgische Details besprechen. Marvel hört Dialogfetzen wie: »Wenn wir den Großvater schon in der fünfzigsten Folge sterben lassen, muss der Monolog in der ersten auch raus.«
»Ediths Story in der vierundfünfzigsten muss emotionaler sein.«
»Biggi sagt, es ist Quatsch, das Badezimmer nur einmal zu bespielen.«
Hin und wieder schnappt einer sich seine Zigarettenschachtel und verschwindet damit nach draußen.
Marvel ist beeindruckt. Er hat sich das Leben eines Drehbuchautors zwar irgendwie anders vorgestellt, hollywoodmäßiger, aber dann darf er sogar dem »Headwriter«, dem wichtigsten unter den Drehbuchautoren, die Pfote geben. Der Headwriter sieht so jung und pickelig aus wie Marvels Freund Bully, aber allein von dem Geld, das seine Armbanduhr offensichtlich gekostet hat, könnten Bully und seine Freunde ein ganzes Jahr lang Party machen.
Der Typ heißt Jannis und erklärt Marvel, dass er den »Plot« ganz allein entwickelt und das Exposé nach einem »Pitch« in den Semesterferien - also doch noch Student! - geschrieben habe.
»Was ist ein Pitch?«, fragt Marvel.
Jannis grinst. »Die reine Folter: Du hast genau drei Minuten, um vor einem Gremium aus Filmproduzenten deine Story so vorzutragen, dass sie denken: Das müssen wir machen! Danach musst du das Ganze - die Dramatik, die Emotion, die Handlung - in drei Sätze packen können, denn merke dir: Was du nicht in drei Sätzen erzählen kannst, ist keine gute Story.«
Marvel ist entsprechend beeindruckt.
»Dann ging’s an die Storylines«, erzählt Jannis, »und da wurde es echt hart. Da fängst du an zu begreifen, dass du unterbezahlt bist. Du weißt, was Storylines sind?«
Marvel hat keine Ahnung.
»Da musst du ganz klar die Handlungsstränge und -bögen jeder einzelnen Folge entwickeln und skizzieren. Dann fällt sofort auf, ob der Hauptcast auch genug Szenen hat und wie die Cliffhanger am Ende sind, als Spannungselement für die nächste Folge. Na ja, das war harte Arbeit, hat ein Jahr gedauert, bis wir mit den ersten Drehbüchern loslegen konnten.«
Jannis hat jetzt einen Stab von »Staff Writers«, die aufgrund der Storylines die einzelnen Szenen und Dialoge entwickeln.
Marvel schwirrt der Kopf.
Als Letztes geht’s zum »Kostüm«. Marvel denkt, es sieht aus wie in einem geilen Klamottenladen. Die Kostümbildnerin und ihre Assistentinnen vermessen ihn, wollen Hemd- und Hosengröße wissen, die Schuhgröße auch. Er muss sich ausziehen und Klamotten probieren und er ist froh, dass er sich heute Morgen frische Boxershorts angezogen hat. Solche coolen Designerteile wie hier könnte er sich nie leisten. Jedes neue Outfit wird auf
Polaroid festgehalten und eine Assistentin schreibt Listen für die »Continuitys«, was Anschluss heißt. Marvel erfährt, dass über
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