Bis ins Koma
hat die Augen geschlossen und wippt mit den Füßen, als habe sie beschlossen, sich von jetzt an nicht mehr zu ärgern. Marvel wirft einen Blick auf ihre Schuhe. Die bestehen irgendwie nur aus Riemchen. Kein Wunder, denkt er, dass sie damit nicht gut die U-Bahn-Treppen hochkommt.
Irgendwann, als nichts los ist, außer dass die Bässe wummern und die Schlange vor den Waschräumen immer länger wird, beugt Miranda sich vor, zieht Marvels Kopf zu sich herunter und schreit: »Tanzen wir mal?«
Marvel reißt die Augen auf. »Waaas?«, ruft er entgeistert.
»TANZEN!«
Marvel schüttelt den Kopf. »Ich versteh nicht.«
»ICH HA BE LUST ZU TA NZEN!«, brüllt Miranda ihm ins Ohr.
Marvel lässt seinen Oberkörper gegen die Wand fallen. Vier Meter Beton. Er schließt erschüttert die Augen. »Das ist nicht dein Ernst«, sagt er. »Tanzen?«
»Gefällt dir die Musik nicht?«
Marvel schüttelt den Kopf.
Mauki beugt sich vor. »Was will sie?«
»Tanzen.«
Mauki grinst. Er erzählt es Jojo. Jojo grinst noch breiter und flüstert Bully glucksend etwas ins Ohr. Plötzlich lachen sie wie auf Kommando los.
Miranda kneift ihre Lippen zusammen und verschränkt die Arme abwehrend vor der Brust. »Schön, dass ich so witzig bin«, bemerkt sie spitz. Sie erhebt sich, ohne Marvel noch eines Blickes zu würdigen. Sie streift ihr Froschkleid glatt, richtet die Riemchen an ihren Schuhen, lauscht mit geneigtem Kopf dem Rhythmus des neuen Songs und beginnt in weichen, fließenden Bewegungen, die irgendwie schüchtern wirken oder scheu, zu tanzen.
Die Jungs hängen auf ihren Polstern und gaffen. Marvel verzieht
keine Miene. Miranda tanzt sich langsam ein, ihre Bewegungen werden größer und selbstbewusster. Sie tanzt auf Marvel zu, streckt die Hände nach ihm aus. Sie lächelt, sie fleht. Marvel weiß nicht, was er machen soll, deshalb dreht er den Kopf einfach weg. Da tippt Miranda sich an die Stirn und bahnt sich energisch einen Weg in Richtung Klo.
Als der Kellner kommt, um ihre Gläser einzusammeln, schaut Jojo fragend zu Marvel und der nickt cool.
»Noch mal dasselbe?«, fragt der Kellner.
»Was war denn da drin?«, fragt Marvel.
»Wodka, Lemon und Orangensaft mit Maracuja«, antwortet der Kellner.
»Klingt gut, schmeckt gut«, sagt Mauki.
»Also, noch mal vier«, ordert Marvel gönnerhaft. Und als der Kellner sich schon wieder abwendet, ruft er schnell: »Und noch eine Cola.«
»Cola ohne alles?«
Marvel nickt.
»Aber das geht nicht mehr aufs Haus«, erklärt der Kellner.
»Sehen wir aus, als hätten wir kein Geld?«, blafft Marvel ihn an.
Die anderen grinsen. Der Kellner verzieht keine Miene.
Das Mädchen mit den knallroten Haaren - sie hat einen Pony, der wie mit dem Lineal geschnitten ist, und überhaupt sehen ihre Haare wie eine Perücke aus, dazu noch gelbe Ohrclips, groß wie Ostereier - kommt auf Marvel zu, bleibt vor ihm stehen. Sie starrt ihn intensiv an. Biegt den Kopf zur Seite, hält den Zeigefinger grübelnd ans Kinn. Kommt einen Schritt näher. Noch einen. Sagt aber nichts.
Marvel zieht die Beine an, damit sie näher treten kann.
Das Mädchen deutet mit dem Zeigefinger auf ihn. »Ich hab dich doch heute gesehen!«, sagt sie. »Stimmt’s?«
»Keine Ahnung«, sagt Marvel cool. Aber sein Herz schlägt schneller. Sollte sie ihn tatsächlich …
»Im Fernsehen! Klar!«
Marvel will weiter cool gucken, aber er ahnt, dass eine gewisse Röte sein Gesicht überzieht. Und das ist nicht cool.
»In der neuen Serie. Genau! Auf ProFive! Das warst doch du, oder?«
Sofort sitzen alle Jungs ganz gerade. Sperren Augen, Nase und Ohren auf. Marvel richtet sich auch auf, zieht automatisch seinen Bauch ein und pumpt Luft in den Brustkorb, fährt sich mit den Händen durch die Haare, die er mit Schaumfestiger in Form gebracht hat. Jetzt sind sie vielleicht nicht mehr in Form.
»Das warst du! Ich weiß es!«, ruft das Mädchen. »Wie heißt du noch mal in dem Film? Komm! Sag schon!«
Marvel grinst und zuckt einfach mit den Schultern. Und denkt: mehr! Mehr! Ich will mehr davon!
Das Mädchen geht vor ihm in die Hocke. Ihre Augen tellergroß. »Vor der Currywurstbude! Sag jetzt ja nicht Nein! Ich bin so was von sicher! Du hast vor der Currywurstbude gestanden und auf einmal war dein Geld weg.« Sie grinst. »Ziehst du die Show heute Abend hier auch ab?«
»Hier nicht«, sagt Marvel.
»Wieso nicht? War super! Ich hab mich beölt. Du warst der Beste von den ganzen Ärschen da an der Wurstbude.«
Gehört auch nicht
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