Bis ins Koma
Regisseurin, »du hast aber ganz schön getankt.«
Marvel versucht sich zusammenzureißen. Er muss jetzt unbedingt etwas Kluges sagen, etwas Schlaues oder Geistreiches. Über die Quote und worauf der Erfolg wohl beruht und wie viel Spaß ihm der Dreh gemacht hat und dass es eine Ehre für ihn ist, dabei sein zu dürfen. Aber immer wenn er den Mund aufmacht,
steigt nur etwas Saures aus seinem Magen auf und füllt den Mundraum, sodass er den Mund erschrocken ganz schnell wieder zumacht und verzweifelt schluckt.
Biggi mustert ihn und wartet.
Er lächelt tapfer, schüttelt über sich selbst fassungslos den Kopf, greift sich in die Haare, lächelt wieder. »Weiß auch nicht«, sagt er, »irgendwas ist nicht in Ordnung.«
»Ich glaube«, Biggis Stimme ist plötzlich sehr streng, »dass du einfach genug hast.«
Marvel senkt den Kopf. Er nickt. Er hält sich krampfhaft an einem der Stehtische für Raucher fest, um nicht zur Seite wegzukippen. Nicht auszudenken, wenn er auf Biggis Busen kippen würde.
»Glaub … besser nach Hause …«, nuschelt er.
»Guter Gedanke«, sagt Biggi, bevor sie sich endgültig wegdreht.
Marvel sieht ihr durch die halb geschlossenen Lider nach. Lässt mich stehen wie einen kleinen Jungen, denkt er. Auch nicht die feine Art. Nur weil ich ein bisschen zu viel von dem Zeug … Man hätte mir ja nicht dauernd nachschenken müssen … O Mann, ich weiß auch nicht … eben ging’s mir noch so gut. Und jetzt …
Er stößt sich vom Tisch ab und zwängt sich, indem er rigoros seine Ellenbogen einsetzt, durch die rauchende Meute auf die Straße.
Ein Wagen kommt ihm mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegen. Das verstärkt den Schwindel noch, er weicht schwankend zurück, schickt dem Fahrer, der warnend hupt, ein paar Flüche hinterher, aber wird davon kein bisschen nüchterner. Da vorn ist eine Straßenlaterne. Die schaff ich, denkt Marvel. Konzentration.
Er fixiert die Laterne, die ihr weiß-gelbes Licht über den kleinen
Platz vor der Kneipe wirft, und lässt sich, als er sie erreicht hat, glücklich an dem Mast hinunter auf die Erde gleiten.
Ah, das tut gut. Das kühle Eisen im Rücken, eine Stütze für den Kopf, die Beine schön ausgestreckt. Hoffentlich ist da keine Hundescheiße. Aber die Leute in dieser Gegend benehmen sich ja alle … laufen alle mit diesen schwarzen Kacksäckchen herum. Wird schon gut gehen.
Plötzlich beugt Hotte sich zu ihm herunter. »Marvin? Alles okay?«
Marvel war sich gar nicht bewusst, dass er die Augen geschlossen hatte. Er reißt sie erschrocken auf. Hotte mustert ihn. Nicht wirklich mitfühlend. Eher kühl.
»Weiß nicht«, murmelt Marvel. »War wohl zu viel Prosecco.«
»Ja, ich hab gesehen, dass ihr beide dem ganz gut zugesprochen habt. Trinkst du immer so viel, wenn es was umsonst gibt?«
Marvel konzentriert sich. Was soll die Frage denn?
Hotte wartet.
Marvel runzelt die Stirn. Er reißt sich zusammen, aber ihm fällt nichts ein. Also lässt er den Kopf einfach wieder gegen den schönen, kühlen Lampenmast fallen. Es tut einen richtigen Schlag in seinem Hirn. Er grinst.
Hotte gibt ihm einen leichten Klaps auf die Schulter. »Steh auf und fahr nach Hause.«
Marvel nickt. Er rappelt sich hoch. Das ist nicht so einfach, denn der Mast ist glatter und dünner als gedacht. Wenn man sich dagegenlehnen will, ist er immer ein bisschen woanders. Marvel schwankt, aber er steht.
Er schaut sich um. Hotte ist schon weitergezogen. In der Nähe diskutieren drei Männer, die ihm vage bekannt vorkommen. Alle tragen Jeans und um die Schulter geknotete Pullis. Sie geben einander Feuer.
Ja, Mensch! Das sind die Drehbuchautoren, denkt Marvel. O Mann, echt schade, mit denen hätte ich mich gern mal unterhalten. Wo kommen die denn jetzt erst her? Die waren doch vorhin noch nicht da. Ich müsste denen erzählen, dass ich einen Freund habe, der später auch Drehbücher schreiben will. Aber was Gutes. Was richtig Gutes. Kinofilm. Internationale Produktion, darunter tut mein Freund Mauki es nicht.
Aber die Typen schauen nicht her. Sie stehen im Halbkreis und drehen ihm den Rücken zu.
Okay, denkt Marvel, dann nicht, ihr Ärsche. Dann geh ich eben nach Hause.
Er taumelt zwischen den parkenden Autos hindurch und streckt wie ein gut gedrillter Soldat seinen Arm pfeilgerade in die Luft.
Als ein Taxi am Bordstein hält, salutiert er.
Der Taxifahrer verzieht keine Miene, als Marvel umständlich einsteigt und ewig lange nachdenken muss, bis ihm wieder einfällt, dass er
Weitere Kostenlose Bücher