Bis ins Koma
Japaner, einen Chinesen, einen Griechen, es gibt eine Bäckerei, einen Obstladen und eine Saftbar.
Und an der Saftbar, hinter einer Batterie von Glaskaraffen mit gelbem, grünem, rotem und orangefarbenem Inhalt steht von Sonntag bis Freitag, zwischen zehn Uhr morgens und neunzehn Uhr abends die Frau mit den himbeerroten Haaren. Bine ohne e.
Als er sie das erste Mal besucht hat, war das nur, um die Geldfrage zu klären.
Er fuhr an einem Sonntagnachmittag zum Hauptbahnhof, irgendwie sicher, dass es im Hauptbahnhof gar keine Saftbar gab, und falls doch, dass Bine bestimmt nicht dort arbeitete. Vielleicht war Bine nur eine, die auf sein Portemonnaie scharf gewesen war.
Er entdeckte sie ziemlich schnell. Sie trug einen weißen Kittel mit apfelgrünen Punkten, schräg in ihr Gesicht hing ein apfelgrünes Käppi und sie schnippelte gerade Bananen klein und schob sie dann vom Brettchen in den Schlund eines metallenen Mixers.
Marvel ist nicht gleich zu ihr gegangen. Er hat sie aus der Deckung eines Fahrkartenautomaten beobachtet.
Sie schaute nicht auf, dabei standen einige Leute vor ihrer Saftbar. Vier Mädchen und ein Mann mit Sonnenbrille und Koffer, der immer wieder ungeduldig auf die Uhr sah. Bine ließ sich nicht drängen. Seelenruhig fischte sie eine Ananas aus der Auslage, schnitt die Schale ab, den Rest in Scheiben und dann in kleine Stücke und schob sie mit der flachen Messerseite in den Mixer. Sie drehte den Mixer an, dessen Lärm für einen Augenblick alle anderen Geräusche in Marvels Umgebung übertönte, und sah immer noch nicht auf. Der Mann nahm wütend seinen Koffer und ging.
Bine stellte vier Gläser auf den Tresen, schaltete den Mixer aus und schüttete den Inhalt erst in eine Karaffe und von da in die einzelnen Gläser. Dann wurden Strohhalme, rot-weiß gestreifte, in die Gläser gesteckt. Danach nahm Bine den Geldschein, den eines der Mädchen hingelegt hatte, öffnete die Kasse und gab Kleingeld heraus. Marvel hob vorsichtig die Hand, aber sie sah ihn einfach nicht.
Als die vier Mädchen sich gierig auf ihre schäumenden Ananas-Bananen-Cocktails stürzten, schaute Bine endlich auf. Und ihm direkt in die Augen.
Marvel wusste nicht, was er für ein Gesicht machen sollte, weil Bine ihn nur reglos musterte. Ihre Augen wurden nicht größer. Sie lächelte nicht. Schließlich nahm er sich zusammen, steckte seine Hände tief in die Hosentaschen und schlenderte auf die Saftbar zu.
Sie sah ihn kommen, aber sie lächelte immer noch nicht. Ihre Hände wischten mechanisch mit einem gelben Schwammtuch über die Arbeitsplatte. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, bis er direkt vor ihr stand.
»Was darf’s sein?«, fragte sie.
»Hallo«, sagte Marvel, »kennst du mich nicht mehr?«
»Ich dich schon«, entgegnete sie. »Die Frage ist nur, ob du mich noch kennst.«
»Und ob«, sagte Marvel. Und grinste.
Bine schaute ihn an und Marvel fand, dass das apfelgrüne Käppi, das bei jedem anderen total albern ausgesehen hätte, ihr irgendwie stand. Sie trug an diesem Tag weiße Ohrclips in der Größe von Tischtennisbällen.
»Dann ist’s ja gut«, sagte Bine.
Marvel grinste. »Wieso? Was meinst du damit?«
Ein Kunde kam, ein Mann um die fünfzig mit nervösem Augenzucken, und wollte einen einfachen Orangensaft aus frischen Früchten.
»Unsere Säfte sind alle aus frischen Früchten.« Bine deutete auf die Leuchtschrift über ihrem Kopf. »Da steht es.«
»Es steht überall viel«, sagte der Mann.
»Klein, mittel oder groß?«, fragte Bine, während sie die Orangenpresse anstellte, ein Instrument mit zwei Laufröhren, ähnlich denen, durch die die Lottokugeln mittwochs und samstags rollen.
Marvel schaute fasziniert zu.
»Mittel«, sagte der Mann.
Marvel hatte gewusst, dass der Mann »Mittel« sagen würde. Da musste man sich nicht entscheiden, für klein oder für groß.
Als der Mann seinen Saft getrunken hatte, seine eingebeulte Aktentasche - sie sah aus, als wäre nichts drin - wieder aufgenommen hatte und weggegangen war, meinte Marvel: »Die meisten Menschen nehmen Mittel, stimmt’s?«
»Falsch«, sagte die Bine. »Die meisten nehmen Groß.«
»Echt?«
»Klar. Weil wer rechnen kann, sofort weiß, dass man bei Groß für sein Geld am meisten kriegt.«
»Apropos Geld«, sagte Marvel. Und stockte.
Eine Mutter mit einem quengelnden Kind an der Hand wollte einen Milchshake.
»Milchshakes gibt’s am anderen Ende der Halle«, sagte Bine. »Hier gibt es nur Fruchtsäfte.«
»Komm, Tobias«,
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