Bis ins Koma
will es nicht in seinen Kopf, was Miranda ihm da erzählt.
»Ich nehm die U-Bahn. Und wo musst du hin?«
»Ins Studio«, knurrt Marvel.
Sie gehen nebeneinander her. Miranda plappert. Dieser Typ, den sie ihr »Date« nennt, hat neulich etwas entdeckt, irgendeine neue Bewegung, die total klasse ist, und jetzt denkt Miranda, dass die auch Marvel interessieren könnte. Eine Bewegung! Marvel verzieht das Gesicht. Welcher Typ interessiert sich für eine Bewegung?
»Vielleicht lernst du ihn ja mal kennen«, sagt sie. »Tim besucht mich sicher bald wieder.«
Er besucht sie, denkt Marvel. Bald! Das klingt, als könne sie es kaum erwarten.
»… dann kann er dir davon erzählen. Die Bewegung heißt Straight Edge.«
»Was ist das denn für ein Name? Gerade Ecke? Oder wie übersetzt du das?«
»Mensch, Marvel! Du hörst ja überhaupt nicht zu. Woran denkst du? Ich glaube, Tim und du, ihr würdet euch gut verstehen.«
Obwohl Marvel versucht, sich ganz auf das bevorstehende
Gespräch mit Hotte zu konzentrieren, gehen ihm auf einmal Fragen durch den Kopf wie: Wieso hat Miranda ein Date? Wieso weiß er nicht, dass sie in einen Typen verknallt ist? Hat er etwa kein Recht darauf, es zu erfahren? Und zwar rechtzeitig? Und nicht, wenn es schon zu spät ist!
Und wer ist dieser Tim? Wieso taucht da auf einmal jemand auf, der Tim heißt?
»Tim sagt«, plappert Miranda, während sie neben ihm zum U-Bahn-Eingang geht, »dass die Mitglieder von Straight Edge sich verpflichten, nie mehr Alkohol zu trinken. Sie wollen Spaß haben, ohne sich ihr Gehirn kaputtzusaufen.«
»Ha«, knurrt Marvel, »super.«
»Nein, Marvel, mach dich nicht lustig! Die haben Spaß! Jede Menge!« Miranda zeigt ihm ihren rechten Handrücken: Da prangt ein dickes schwarzes X. Sie ist auch schon Mitglied bei Straight Edge. Und total begeistert.
»Wenn ich mit diesem X auf dem Handrücken auf eine Party gehe, in eine Disco oder so, dann weiß jeder, dass ich keinen Alkohol trinke.«
»Seit wann gehst du denn in Discos?«, knurrt Marvel.
»Mit Tim. Der tanzt unheimlich gern.«
Tim tanzt unheimlich gern, denkt Marvel. Irgendetwas drückt in seinem Magen.
»Ja. Und keiner bringt einen dummen Spruch. Da muss ich gar nicht erst viel erklären, das war sonst immer so nervig. Da kam ich mir mit meiner Limo wie ein kleines Mädchen vor, das Angst vor dem großen Leben hat. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt macht mich das stolz.«
Marvel zwingt sich, an Hotte zu denken und an Biggi und an den Empfang, den sie ihm im Studio bereiten werden. Er fragt sich, wie er am Pförtner vorbeikommen soll. Ob der sich seine Freizeit auch mit dem Internet vertreibt? Jedenfalls hat der
Pförtner ihn schon bald nach Drehbeginn auf dem Schirm gehabt. Und ihn einfach durchgewunken.
»Wenn du Mitglied von Straight Edge bist«, sagt Miranda, »zeigst du am Eingang dein X und dann weiß jeder, dass du keinen Alkohol trinkst. Die Bewegung geht inzwischen um die ganze Welt. Es ändert sich was! Du, ich find das großartig! Warum muss eine Party immer als Besäufnis enden? Man kann auch ohne Alkohol Spaß haben. Und die Gehirnzellen bleiben einem erhalten. Das siehst du doch genauso, oder? Also, ich könnte nie mit einem Typen befreundet sein, der jedes Wochenende betrunken ist. Grässlich!«
Marvel nickt. Er denkt an die Multimedia. An die zweite Staffel von Coole Zeiten. Eigentlich sollten bald die Verträge kommen. Klar, was sie ihm sagen werden: Die zweite Staffel kannst du vergessen, Junge! Wir schreiben dich raus! So schnell kannst du gar nicht gucken, wie du aus der Soap geschrieben wirst.
»Wir wollen versuchen, im Sommer in Hamburg eine Megaparty zu veranstalten. Da musst du unbedingt kommen!«
Marvel runzelt die Stirn. »Wir? Wer wir?«
»Die Straight-Edge-Leute. Hörst du nicht zu?«
»Doch, doch, erzähl weiter!«
Marvel feilt in Gedanken an den Sätzen, die er Hotte sagen will. Er nickt, damit Miranda weiterredet und er nicht antworten muss. Aber Miranda bleibt plötzlich stehen und starrt ihn an.
»Was ist los, Marvel?«
Er lächelt. Ein schiefes Lächeln, mehr eine Gesichtszerrung. Eine Grimasse. Das spürt er. Er hasst sich dafür.
»Nichts. Gar nichts«, sagt er hastig. »Alles okay.«
»Wirklich?«, fragt sie ungläubig.
Er nickt.
Sie gehen eine Weile schweigend weiter nebeneinanderher. Manchmal, wie zufällig, berühren sich ihre Hände. Dann räuspert Miranda sich, als kaue sie an einem schwierigen Satz herum. Schließlich sagt sie: »Marvel?«
»Ja?«
Sie
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