Bis ins Koma

bleibt wieder stehen und wendet sich ihm zu. »Wenn es dir schlecht geht und du ein Problem hast, dann würdest du mir das doch sagen. Oder?«
    Er schluckt. Er versucht ihrem Blick auszuweichen. Er nickt.
    »Weil ich es dir nämlich sagen würde, wenn ich ein Problem hätte«, sagt Miranda. Sie zögert, ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. »Wir sind doch wie Bruder und Schwester, oder?«
    Wie Bruder und Schwester!
    Er muss ihr in die Augen gucken. Ihre Augen sind so dunkel und so groß wie Kastanien. Wie Kastanien, die mit glänzendem Samt überzogen sind. Und ihr Mund! Diese Lippen, die so schön geformt sind. Und glänzen wie Perlmutt. Ganz plötzlich fragt Marvel sich, warum er nie auf die Idee gekommen ist - in all den Augenblicken, in denen Miranda ihm ihr Gesicht entgegengehalten hat -, diesen Mund zu küssen.
    Stattdessen sagt er mechanisch: »Genau. Wie Bruder und Schwester.«

13
    D as ist eine kapitale Scheiße, die da passiert ist! So viel dürfte dir doch wenigstens klar sein? Ja?«
    Hotte tigert in seinem kleinen Büro auf und ab. Von Zeit zu Zeit schlägt er mit der Faust gegen die Regale und die Blätterstöße flattern hoch.
    Marvel hockt mit eingezogenem Kopf auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch. Er starrt auf seine Fußspitzen.
    »Was, verdammt noch mal, hast du dir dabei gedacht?«, schimpft Hotte.
    »Ich weiß es doch nicht!«, flüstert Marvel. »Ich sag doch, ich kann mich an nichts erinnern.«
    »Und wieso, verdammt noch mal, lässt du dich so volllaufen, dass du dich an nichts erinnerst?«
    Marvel zuckt mit den Schultern.
    »Was ist an deinem Leben so verdammt schlecht, dass du dich bewusstlos saufen musst?«
    Marvel lässt den Kopf noch tiefer sinken.
    »Schau mich an, Marvin!«
    Jetzt sagt er schon Marvin, denkt Marvel. Das ist das Ende. Gleich schmeißt er mich raus. Besser, ich mach selbst den Abgang. Er holt tief Luft, stützt sich ab. Räuspert sich.
    »Es tut mir leid. Wirklich. Hotte, das Letzte, was ich will, ist, dass ihr meinetwegen Probleme kriegt.«
    Hotte knurrt. Lehnt am Schreibtisch, lässt Marvel nicht aus den Augen. Wie ein Raubtier, das sein Opfer beobachtet und nur noch auf den richtigen Moment wartet, um zuzupacken.

    »Ich würde es gern wiedergutmachen«, murmelt Marvel. Aber schon während er die Worte ausspricht, weiß er, dass er Blödsinn redet.
    Prompt fragt Hotte auch: »Und wie, wenn ich fragen darf?«
    Marvel hebt den Kopf, schaut Hotte in die Augen. »Ich hab’s vermasselt, ich weiß. Ich kann’s nicht wiedergutmachen. Tut mir leid, dass ihr auf den Falschen gesetzt habt.« Er streckt Hotte die Hand hin. »Das hier war das Beste, was ich je erlebt hab. Hat echt Spaß gemacht.«
    Hotte nimmt seine Hand nicht. Marvel dreht sich um, geht zur Tür.
    »Warte«, sagt Hotte.
    Marvel bleibt stehen.
    »Dreh dich um!«
    Marvel gehorcht.
    Hotte lehnt immer noch am Schreibtisch, er hat immer noch die Arme vor der Brust verschränkt.
    »Ich hatte einen Lehrer, der hat immer gesagt: Jeder hat eine zweite Chance verdient. Ich hab von dem Lehrer damals auch eine zweite Chance bekommen.«
    Marvel atmet vorsichtig durch. Was sagt er? Was will er?
    »Du bist in der zweiten Staffel«, sagt Hotte. »Die Autoren haben dir richtig gute Szenen gegeben. Hier liegen die ersten Bücher. Wir würden ungern auf dich verzichten.« Er schlägt mit der flachen Hand auf einen Stapel Papier. »Aber ich schwöre dir: Wenn das Geringste passiert, bist du schneller draußen, als du bis drei zählen kannst.«
    Marvel muss sich am Stuhl festhalten.
    »Ich könnte mit Biggi reden«, sagt Hotte. »Biggi mochte dich. Sie hat gern mit dir gearbeitet.«
    »Ich auch mit ihr«, flüstert Marvel.

    »Ich könnte Biggi sagen, dass wir geredet haben und ich sicher bin, du hast aus deinen Fehlern gelernt.«
    Marvel nickt. Sein Herz hämmert.
    »Die Fotos sind im Netz. Die Fotos wirst du nie wieder los. Das ist ab sofort ein Problem. Wir werden versuchen, den Schaden von der Serie abzuwenden. Wir werden unsere Anwälte dransetzen. Vielleicht finden die einen Weg, das Foto zu sperren. Weil du erst sechzehn bist. Vielleicht gibt es da eine Hintertür, keine Ahnung, vielleicht auch nicht. Dann muss unseren PR-Leuten eben etwas einfallen. Keine Ahnung, was.«
    »Es tut mir leid.« Marvel hat aufgehört, zu zählen, wie oft er diesen Satz nun schon gesagt hat.
    »Du selbst musst aber dafür sorgen, dass so eine Scheiße nie wieder passiert. Das kannst nur du. Du musst dich am eigenen Haarschopf aus der