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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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versuchte, Streitereien friedlich zu lösen? Zugegeben, vielleicht schlug ich mich nicht, weil ich schon vorher wusste, dass ich verlor. Bei meinen vierzig Kilo reicht ein starker Windstoß, um mich umzupusten. Aber wozu brauchte ich Muskeln, wo doch mein Gehirn besser funktionierte als bei den meisten anderen Leuten?
    Ich ging ins Bad und warf mir ein paar Hände Wasser ins Gesicht. Sollte sich Linda doch jemand anderen suchen, der ihr Mathe beibrachte. Ich jedenfalls stand nicht mehr zur Verfügung. In meinem Zimmer legte ich mich aufs Bett, stellte den CD-Player an und schlief sofort ein.
    Als meine Mutter mich weckte, prasselte Regen gegen die Fensterscheibe.
    »Sie ist weg«, sagte Mama.
    Ich gähnte. »Linda?«
    »Ein nettes Mädchen«, sagte sie.
    »Überhaupt nicht!«, widersprach ich und sprang aus dem Bett.
    »Wieso nicht?«, fragte meine Mutter.
    »Ach, nicht so wichtig«, sagte ich. »Hast du schon gegessen?«
    Sie nickte.
    »Bist du mit der Arbeit weitergekommen?«, wollte ich wissen.
    »Nein.«
    »Glaubst du, du schaffst es?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Das solltest du aber!«, brüllte ich los und erschrak über meine Stimme. Doch ich war jetzt nicht mehr zu stoppen – und wollte auch nicht gestoppt werden. »Was denkst du dir eigentlich? Die Rente allein reicht nicht, Mama! Mit der können wir gerade mal die Raten fürs Haus abstottern!«
    »DDs Lebensversicherung...«, begann Mama.
    Ich schnitt ihr das Wort ab. »DDs Lebensversicherung? Die steckt in der neuen Heizung! Du musst zeichnen, Mama! Zeichnen! Oder willst du putzen gehen?«
    So schnell die Wut gekommen war, so schnell verflog sie wieder. Wie Mama vor mir stand, schuldbewusst und mit Tränen in den Augen, konnte ich ihr einfach nicht böse sein. »Hast du mit DD gesprochen?«, fragte ich.
    »Er kommt nicht«, antwortete sie. »Ich rufe ihn, aber er kommt nicht.«
    Ich umarmte sie. »Der kommt schon wieder«, sagte ich. »Sollst mal sehen.«
    Während sie wortlos in der Küche verschwand, ging ich in ihr Arbeitszimmer. Auf dem Zeichentisch lag immer noch das Blatt Papier mit dem einsamen kleinen Vogel. Neben den Sesseln in der Sitzecke standen zwei leere Gläser und eine Schale mit den Resten von Salzstangen. Im Mülleimer fand ich zusammengeknülltes Papier. Ich holte es heraus, legte es auf den Boden und strich es glatt. Es waren zwei neue Entwürfe. Aber diesmal waren sie wirklich schlecht. Es lohnte sich nicht, sie aufzubewahren. Mir blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten. Fand Mama zu dem zurück, was sie konnte, war das gut für uns. Tat sie es nicht, war das schlecht, sehr schlecht sogar.

Achtes Kapitel
    D as Wochenende ging vorüber und am Zustand meiner Mutter änderte sich nichts. Sie lag bis mittags im Bett und war nur mit Mühe zu überreden, sich an die Entwürfe für die Kaufhauskette zu setzen. Saß sie endlich an ihrem Zeichentisch, starrte sie stundenlang aus dem Fenster. Manchmal zog sie einen Strich über das Papier, manchmal zeichnete sie einen Kreis oder einen Punkt. Dabei blieb es. Wie es aussah, konnten wir den Auftrag vergessen.
    Weil ich nicht mehr weiterwusste, rief ich meine Großmutter an. Sie versprach sofort, zu uns zu kommen. Der Ferrari sei voll getankt, der Reifendruck stimme, sie könne gleich losfahren. Ihr Auto war in Wirklichkeit ein popeliger Smart. Aber seit sie bei der ersten Probefahrt auf der Autobahn einen Mercedes überholt hatte, hieß er bei ihr nur der »Ferrari«. Sie hatte den Wagen sogar knallrot spritzen und ein springendes Pferd auf die Kühlerhaube malen lassen.
    Drei Stunden später hielt sie mit quietschenden Reifenvor unserem Haus. Nachdem sie mich wie immer ausgiebig abgeknutscht hatte, drückte sie mir eine Tasche mit Lebensmitteln in die Hand, setzte ihre rote Baskenmütze ab und hängte ihren ebenso roten Mantel an die Garderobe.
    »Koch uns ein schönes Chili con carne, ja?«, sagte sie und verschwand, ohne meine Antwort abzuwarten, in Mamas Zimmer. Dort blieb sie, bis ich die beiden zum Essen rief.
    In unserer Familie bin ich der Spezialist für Chili. Normalerweise können Mama und Oma gar nicht genug davon kriegen. Aber diesmal setzte sich Oma allein zu mir an den Tisch. Wortlos schaufelte sie sich den Teller bis zum Rand voll und begann zu essen. Ihre glänzenden Augen und das Tempo, in dem Fleisch und Bohnen verschwanden, verrieten mir, dass es ihr schmeckte.
    »Kommt Mama nicht?«, fragte ich, während sich meine Großmutter den Teller zum zweiten Mal füllte.
    Sie

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