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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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Herr Jansen,
    heute schicke ich Ihnen die versprochenen Entwürfe. Durch ein Versehen sind sie leider zerrissen worden. Damit sie trotzdem pünktlich bei Ihnen sind, habe ich die Einzelteile, so gut es ging, zusammengefügt. Ihre Computerleute werden bestimmt kein Problem damithaben, den Originalzustand der Entwürfe wieder herzustellen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Marius Dick«
    Ich verzichtete darauf, Mama und Oma zu zeigen, was ich geklebt und geschrieben hatte. Sie hätten mich garantiert davon abgehalten, die beiden Puzzles wegzuschicken. Natürlich war ich verrückt. Wie ich den Jansen kannte, würde er nie wieder jemandem einen Auftrag geben, der ihm statt vernünftiger Entwürfe aufgeklebte Schnipsel zuschickte. Aber vielleicht... vielleicht gefielen ihm ja die dreieckigen Weihnachtsmänner genauso gut wie Oma und mir. Einen Versuch war es jedenfalls wert. Und ins Reine zeichnen konnte Mama den Entwurf immer noch.
     
    Um sicherzugehen, dass die beiden Puzzles heil bei Jansen ankamen, schickte ich sie am nächsten Tag als Express- und Wertsendung los. Mit den vielen Aufklebern sah der Umschlag wie eine Collage aus dem Kunstunterricht aus und die Frau hinter dem Schalter kassierte kalt lächelnd 37 Euro und 44 Cents.
    »Das sollte es einem schon wert sein«, sagte sie, als sie meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah. 37 Euro – dafür hätte ich mich auch in den Zug setzen und die Dinger persönlich abliefern können!
    Ich zählte ihr das Geld hin, das ich am Abend zuvor mithilfe einer Pinzette aus meinem Sparschwein geholt hatte. Oma fütterte es bei jedem ihrer Besuche. Es warmeine eiserne Reserve gewesen, für schlechte Zeiten sozusagen. Nachdem ich das Porto bezahlt hatte, blieben von meinem gesparten Geld noch zwanzig Cent übrig. Die reichten nicht mal für ein Eis.
    Auf dem Rückweg von der Post kam ich am Haus meiner Klavierlehrerin vorbei. Sie lehnte, das Kinn in die Hand gestützt, am offenen Fenster und hörte jemandem zu. Ich kannte das Stück. Frau Dollhase-Roggenfeld hatte es gespielt, nachdem mir die Noten weggeflogen waren. Oder hatte ich damals in Wirklichkeit Linda gehört?
    Irgendwann war das Stück zu Ende und Frau Dollhase-Roggenfeld verschwand vom Fenster. Ein paar Augenblicke später trat tatsächlich Linda aus der Haustür. Als sie mich mit meinem Fahrrad auf der anderen Straßenseite stehen sah, kam sie herübergelaufen.
    »Hallo, Marius«, sagte sie und setzte das breiteste Lächeln der Welt auf. Mit ihren unglaublichen Lippen schaffte sie das. Locker.
    »Hallo«, sagte ich und stellte mein Rad zwischen uns. Vielleicht wollte sie mich mit ihrem Lächeln nur in Sicherheit wiegen und haute mir gleich ihre Notentasche über den Kopf. Oder sie schlug mir die Nase krumm. Oder es fiel ihr noch was anderes ein. In jedem Fall war es besser, die Dame auf Distanz zu halten.
    »Deine Mutter ist echt nett«, sagte sie.
    Wollte sie mit mir über Mama sprechen, oder was? »Das mit den Ohrfeigen tut mir Leid«, fuhr sie fort. Aha, jetzt kamen wir der Sache schon näher. »Echt?«, fragte ich.
    »Echt.«
    »Warum hast du mich geschlagen?«, fragte ich weiter. »Ich helfe dir in Mathe und du schlägst mich!«
    Sie schaute vor sich auf den Boden. Eine Nacktschnecke kroch haarscharf an Lindas Schuhen vorbei. »Weiß nicht«, murmelte sie.
    »Natürlich weißt du es!«, rief ich.
    Jetzt guckte sie mich an. »Wenn du es unbedingt wissen willst – du bist immer so... so ... « Sie brach ab und guckte mich an. Eigentlich sah sie von vorn sogar noch besser aus als im Profil. Oder doch nicht? Ach, war ja auch egal!
    »Du bist immer so nett«, brachte sie ihren Satz schließlich zu Ende. »Bestimmt haust du nicht mal ’ne Mücke tot. Das nervt! Total!«
    Ich nervte, weil ich nett war – es würde eine Weile dauern, bis ich das verdaut hatte. Und natürlich haute ich Mücken tot. Aber das behielt ich für mich. Linda würde es mir sowieso nicht glauben, genauso wenig wie meine Prügelei am Bolzplatz. Für sie war ich einfach nur ein kleiner braver Mathefuzzi.
    Sie beugte sich über mein Rad. Hatte sie vor, mir die nächste Ohrfeige zu verpassen? Ich wollte mich gerade wegducken, da strich sie mir schon über die Backe. Es war... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Jedenfalls fühlte es sich verdammt gut an. So gut, dass ich nichts gegen eine Wiederholung einzuwenden gehabt hätte.
    »Ach, vergiss es«, sagte sie. »Ich rede mal wieder Blödsinn. – Was ist mit Mathe?«
    Jetzt konnte ich gleich

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