Bis Sansibar Und Weiter
hing zwischen den Wolken eine Lampe, wie sie Zahnärzte benutzen. Die Hitze, die sie ausstrahlte, war so stark, dass ich zu schwitzen begann. Bald war mein Körper nass und ich begann zu frieren.
Da drückte sich Linda an mich und wärmte mich. Wirstreichelten und küssten uns. Und während wir das taten, wechselte der Himmel über uns im Sekundentakt die Farbe: von Rot zu Gelb zu Grün zu Blau zu Rot.
In meinem Traum beschloss ich, unter diesem Himmel für immer liegen zu bleiben, auf diesem Gras, mit Linda in meinem Arm. Und ich fühlte mich kalt und heiß zugleich und drängte mich an sie.
Als ich am Morgen aufwachte, war meine Schlafanzughose zwischen den Beinen klebrig. Zum allerersten Mal.
Siebtes Kapitel
N ach dem Frühstück klingelte das Telefon. Jan Jansen, der Papierwaren-Einkäufer der Kaufhauskette, war dran. Ich hatte schon früher mit seinem Anruf gerechnet. In etwas mehr als zwei Monaten war Weihnachten, in den Geschäften begannen sie bereits zu dekorieren.
Wo die verdammten Entwürfe blieben, brüllte er ins Telefon, kaum dass ich meinen Namen gesagt hatte. Die Druckerei stünde bereits in den Startlöchern, fuhr er fort, sozusagen Gewehr bei Fuß. Er könne uns noch eine Woche geben, aber keinen verdammten Tag länger. Lieferten wir dann nicht, sei der verdammte Vertrag hinfällig. Mir sei ja wohl klar, dass sich so was in der Branche rumsprechen werde, beendete er seinen Vortrag.
Ich sicherte ihm eine pünktliche Lieferung zu und lief zu meiner Mutter hinüber. Sie lag im Bett und schien zu schlafen. »Du musst aufstehen!«, rief ich.
»Was ist denn?«, murmelte sie.
»Ich hab gerade einen Anruf vom Jansen gekriegt«,antwortete ich. »Er ist stinksauer. Sie warten auf die Entwürfe.«
»Ich kann nicht«, sagte sie und zog die Decke über den Kopf.
»Du musst! Sonst kündigen sie den Vertrag!«, rief ich. »Sie schließen mit dir bestimmt keinen neuen ab, wenn wir nicht liefern«, fügte ich etwas leiser hinzu.
»Glaubst du?«, fragte sie unsicher.
»Ja, das glaube ich.«
Endlich gab sie sich einen Ruck und stand auf. »Soll ich dir Frühstück machen?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Hunger.« »Du musst was essen«, sagte ich.
»Vielleicht später.« Damit verschwand sie im Bad. Ich ging in mein Zimmer, fuhr meinen Computer hoch und überprüfte unsere Konten. Wir würden es ohne Probleme bis zum Jahresende schaffen, selbst wenn Mama das mit dem Geschenkpapier nicht hinkriegen sollte. Bekam sie dann keine neuen Aufträge, sah es allerdings finster aus.
Den ganzen Tag über ging mir der nächtliche Traum nicht aus dem Kopf. Sobald ich an Linda dachte, kribbelte es tief unten im Bauch. Und ich dachte eigentlich ständig an sie. War das ein Zeichen? War ich etwa doch in sie verliebt? Um Jan Jansen zu zitieren: Verdammt! Ich wusste es immer noch nicht.
Am Abend zeigte meine Armbanduhr bereits Viertel nach sechs und Linda kam und kam nicht. War was passiert?Hatten ihr Lennart und seine Freunde wieder aufgelauert? Irgendwann hielt ich es in meinem Zimmer nicht mehr aus und ging nach draußen. Auf der Straße war keine Menschenseele zu sehen. Vor den Häusern parkten die Autos, die dort immer standen, hinter den Scheiben flimmerten die Fernseher. Und keine Spur von Linda – bis ich ein lautes Knacken aus dem Garten hörte.
Ich lief hinters Haus und kriegte vor Schreck einen vorübergehenden Herzstillstand. Linda saß hoch oben in der Krone des Kirschbaums! Die dünnen Zweige schwankten bedrohlich hin und her, ein morscher Ast lag vor dem Baum im Gras. Wahrscheinlich hatte ich gehört, wie er abgebrochen war.
»Spinnst du?«, brüllte ich, als mein Herz wieder zu schlagen begonnen hatte. Ich sah Linda schon mit gebrochenem Genick vor mir auf dem Boden liegen. »Komm sofort...«
»Schau mal, Marius, Herbstkirschen«, unterbrach sie mich und zeigte mir, ohne sich am Stamm festzuhalten, ein paar blassrote Früchte. »Da hinten sind noch mehr. Willst du auch?«
»Du kommst sofort runter!«, brüllte ich.
»Quatsch!«, rief sie und kletterte geschickt noch ein Stück weiter in die Baumkrone hinauf. Sie pflückte eine Kirsche, stopfte sie sich in den Mund, spuckte den Kern in hohem Bogen aus und machte sich in aller Seelenruhe an den Abstieg.
Als sie endlich heil unten angekommen war, versagtenmir die Beine. Für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Ich setzte mich ins Gras und atmete erst mal tief durch.
»Ich hab die Kirschen gesehen«,
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