Bis Sansibar Und Weiter
sich im Haus wieder alles beruhigt hatte, rief ich Linda an. Sie war sofort dran.
»War schön mit dir«, sagte sie.
Ich schluckte. Ihre Stimme ließ meine Hormone Amok laufen. So nennt es jedenfalls der Metzger, wenn es in der Klasse mal wieder zu unruhig ist. »Mit dir auch«, krächzte ich und fragte: »Habt ihr ein Segelboot?«
»Nein«, antwortete sie. »Früher mal, jetzt nicht mehr.«
»Hättest du gern wieder eins?«
»Klar!«, rief sie. »Segeln ist das Allergrößte!«
»Wie Bach?«
Sie lachte. »Du hast es erfasst, Marius!«
Als ich gegen Mittag zum Kapitän kam, war er nicht auf seiner Jacht. An seinem Haus waren die Rollos heruntergelassen, im Briefkasten steckten Zeitungen und Reklamesendungen. Ich wartete eine Weile, dann öffnete ich das Gartentor, lief zur Haustür und klingelte. Alles blieb still. Also klingelte ich noch einmal. Nach einer Weile glaubte ich, ein Geräusch zu hören.
»Hallo!«, rief ich.
Das Geräusch erstarb, es war wieder still. Da stimmte was nicht, vielleicht war der Kapitän krank und brauchte Hilfe. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter und die Tür öffnete sich. Offenbar hatte er vergessen, sie abzuschließen. »Hallo!«, rief ich ein zweites Mal. »Ich bin’s! Marius Dick! Ist bei Ihnen alles klar?«
»Nee!«, ertönte eine krächzende Stimme. »Komm rauf, Kleiner!«
Im düsteren Hausflur empfing mich abgestandene Luft, ich musste aufpassen, wo ich hintrat. Fast wäreich gegen ein riesiges Meerungeheuer aus Holz gestoßen, das mit seinen langen Krakenarmen an der Wand neben der Garderobe hing. Auf dem Boden lag Gerümpel herum: Fischernetze, Bojen, ein abgebrochenes Ruder und Rettungsringe mit der Aufschrift »MS Katharina«.
Ich fand den Kapitän in einem kleinen Zimmer im ersten Stock. Hier war das Rollo nicht heruntergelassen, helles Sonnenlicht flutete in den Raum. Der Kapitän lag in einem schmuddeligen weißen Nachthemd auf dem Bett und stöhnte. Sein Gesicht war schweißnass, seine Augen sahen nach Fieber aus. Mindestens 39 Grad, schätzte ich. Im Po gemessen.
»Was glotzt du so?«, schnauzte er mich an. »Noch nie ’n kranken Seemann gesehen?«
»Soll ich wieder den Doktor rufen?«
Der Kapitän winkte verächtlich ab. »Alles Quacksalber, einer wie der andere!«, knurrte er. »Ich brauche Wasser. Viel Wasser. Hol mir welches!«
»Und wo bitte?«
»In der Küche! Wo sonst?!«, rief er und verzog dabei das Gesicht. Er schien große Schmerzen zu haben.
Ich lief hinunter ins Erdgeschoss und zog in der Küche erst einmal die Rollos hoch. Auf dem Herd stapelten sich Töpfe und Pfannen mit Essensresten, in der Spüle lag dreckiges Geschirr, die Türen der Hängeschränke standen offen, auf der Ablage war eine Kaffeekanne umgefallen. Der braune Sud hatte auf dem Holz und dem Boden große Flecken hinterlassen. DieUhr über der Tür war stehen geblieben, auf dem Esstisch standen ein halb voller Teller mit einer undefinierbaren dunkelroten Pampe und eine leere Flasche Whiskey.
Ich nahm einen Krug aus einem der Schränke und spülte ihn aus. Dann füllte ich ihn bis zum Rand und brachte ihn nach oben.
»Na endlich«, schimpfte der Kapitän. »Ich dachte schon, du wärst über Bord gegangen.« Er tastete mit der Hand nach dem Glas, das auf dem Boden neben seinem Bett stand. »Gieß es da rein«, sagte er. »Aber voll, wenn ich bitten darf!«
Das Glas roch nach Schnaps. Ich goss es bis zum Rand voll und reichte es dem Kapitän. Er kippte es mit einem einzigen großen Schluck hinunter. »Noch eins!«, kommandierte er.
In kürzester Zeit trank er den Krug leer. Und den nächsten auch. Erst beim dritten gab er auf und sagte ein Wort, das ich zum ersten Mal von ihm hörte: »Danke, Junge.«
»Jetzt muss ich pinkeln«, sagte er dann. »Hilfst du mir?«
Mir verschlug es für einen Moment die Sprache. »Beim P... Pin...«, stotterte ich.
»Pinkeln kann ich allein, du Dämlack!«, schimpfte er. »Du musst mich nur zum Klo bringen!«
Es war gar nicht so leicht, den schweren Mann aus dem Bett rauszukriegen. Aber irgendwie schafften wir es. Er schien nach der Wasserkur nicht mehr solcheSchmerzen zu haben, jedenfalls stöhnte er kaum, während ich ihn zum Klo brachte.
Als der Kapitän die Toilette verließ, war die steile Falte auf seiner Stirn verschwunden, seine blauen Augen, die gerade noch fiebrig geschaut hatten, leuchteten.
»Soll ich Sie wieder stützen?«, fragte ich.
Er schob mich mürrisch zur Seite. »Bin ich ein Tattergreis, oder was?«,
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