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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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flackernden Schein sah Linda plötzlich wie eine Fee aus. Oder wie ein Engel. Wäre sie noch ein bisschen runder gewesen,mit einem Gewicht von sechzig Kilo zum Beispiel, wäre ich vor ihr auf die Knie gesunken. Das hätte ich getan, ich schwör’s!
    War jetzt der richtige Augenblick? Sollte ich sie einfach küssen, peng, mitten auf den Mund? Wartete sie darauf, dass ich es endlich tat? Oder haute sie mir eine runter, wenn ich es versuchte? Vielleicht konnte ich mich ja auch erst mal zu ihr in den Sitzsack setzen und den Arm um sie legen. Oder ihre Haare streicheln. Oder einfach ihre Hand halten.
    Ich stand auf, sie schien mir schon ein bisschen Platz zu machen – da schepperte es draußen. Ausgerechnet in diesem Moment. Ausgerechnet jetzt, wo ich das tun wollte, was Paul angeblich bereits seit der Fünften regelmäßig tat: Mädchen küssen. Es klang, als sei eine Kiste voller Töpfe und Pfannen umgefallen.
    »Das war mein Vater«, sagte Linda. »Er fährt nicht besonders gut Auto, weißt du.«
    Wir liefen hinaus zur Garage. Lindas Vater hatte seinen alten förstergrünen Mercedes zu eng an die Wand geparkt und beim Aussteigen Werkzeug, Lampen, ein Kinderfahrrad und verschiedene Gartenschläuche von ihren Haken gerissen. Jetzt hockte er auf dem Boden und sammelte die Sachen auf. Nachdem er sie zurückgehängt hatte, kam er zu uns.
    »Das ist Marius«, stellte Linda mich vor.
    »Hallo«, sagte ihr Vater, ohne mich dabei anzuschauen. Unter seinen Augen waren dunkle Ringe zu sehen, über seine Stirn zogen sich tiefe Falten, die rotblonden Haarestanden nach allen Seiten ab. In der Hand hielt er eine alte Aktentasche von undefinierbarer Farbe, aus der Papiere quollen. Sein dunkler Anzug war zerknautscht, auf dem schwarzen T-Shirt, das er unter der Jacke trug, war ein heller Fleck zu sehen.
    »Marius hilft mir in Mathe«, fuhr Linda fort.
    Fast wäre mir ein »nicht mehr« rausgerutscht. Zum Glück konnte ich es gerade noch runterschlucken. Denn natürlich wollte ich ihr weiter Nachhilfe geben. Dann würden wir uns nämlich mindestens zweimal die Woche sehen. Vielleicht brauchte sie ja auch noch eine dritte Stunde...
    »Schön«, sagte ihr Vater, während er die Haustür öffnete. »Ich koche uns was, ja?«
    »Bleibst du zum Essen?«, fragte Linda, nachdem er im Haus verschwunden war.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich gehe lieber. Tschüss.« Sie hielt mich am Ärmel fest. »Könnten wir... vielleicht... ich meine...«, begann sie stockend.
    »Ja?«
    »Könnten wir nicht doch weiter zusammen Mathe üben?«, fragte sie.
    »In Ordnung«, sagte ich und konnte dabei kaum verhindern, dass meine Mundwinkel vor lauter Strahlen die Ohrläppchen berührten. »Komm morgen um sechs.«
    Sie drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Backe. »Danke, Marius. Das werde ich dir nie vergessen!«
    »Schon gut«, sagte ich. Wie es aussah, hatte ich mir viel zu viele Gedanken über das Küssen gemacht. Mädchenschienen damit keine Probleme zu haben. Die taten es einfach.
    »Irgendwann segeln wir zusammen. Nur wir beide, ja?«, rief sie, bevor sie ihrem Vater ins Haus folgte. »Und mindestens bis Sansibar!«
    »Habt ihr denn ein Schiff?«, rief ich hinter ihr her. Aber das hörte sie nicht mehr.
    Sansibar ist eine große Insel, gehört zu Tansania und liegt vor der ostafrikanischen Küste, das wusste ich. Keine Ahnung, wie viele Seemeilen das waren, jedenfalls eine ganze Menge.
     
    Auf dem Rückweg nach Hause fuhr ich beim Kapitän vorbei. Er saß auf seinem Segelboot, hatte eine Stehlampe eingeschaltet und las im Schein der starken Glühbirnen in einem Buch. Es war Herbst und wir hatten höchstens zehn Grad. Fror der Mann denn nicht?
    Ich hielt an und stieg vom Rad. »Hallo!«, rief ich. Keine Ahnung, wieso ich das tat. Mir war einfach danach.
    Er schaute von seinem Buch hoch. Auf seiner Furcht erregenden roten Nase saß eine ebenso Furcht erregende schwarze Brille. »Was willst du?«, rief er.
    »Ist Ihnen nicht kalt?«
    »Wer Kap Hoorn umrundet hat, friert nicht!«, rief er zurück.
    »Kap Hoorn? Mit der Annemarie?«
    Der Kapitän wuchtete sich aus seinem Liegestuhl hoch und stieg langsam die Leiter hinunter. »Willst du mich vergackeiern?«, fragte er, als er vor mir stand. Ich mussteden Kopf in den Nacken legen, so groß war er. »Weißt du überhaupt, was Kap Hoorn ist?«
    »Die Spitze von Südamerika«, antwortete ich. »Dahinter kommt nur noch Wasser. Und der Südpol.« Tja, gelernt ist gelernt! Der Typ konnte ja nicht wissen, dass

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