Bis Sansibar Und Weiter
knurrte er und schlurfte zurück in sein Zimmer.
»Ich wollte Sie was fragen!«, rief ich hinter ihm her.
»Jetzt nicht!« Mit einem Knall schlug er die Zimmertür zu, Putz fiel von der Flurdecke. Kein Wunder, dass der Mann allein lebte. Niemand hätte es länger als einen Tag mit ihm ausgehalten.
Ich lief die Treppen hinunter und aus dem Haus. In diesem Moment öffnete sich hinter mir ein Fenster. »Warte!«, brüllte der Kapitän. Das Wörtchen »bitte« schien in seinem Wortschatz nicht zu existieren. Aber das hatte ich auch bei »danke« gedacht.
»In Ordnung, Chef!«, brüllte ich zurück.
Ein paar Minuten später trat er aus der Haustür – in Uniform und mit Strohhut. Wenn mich nicht alles täuschte, trug er unter dem Anzug sein Nachthemd.
»Also, was willst du?«, fragte er.
Ich atmete tief durch. »Ihr Boot kaufen«, sagte ich und wunderte mich, dass meine Stimme nicht zitterte.
Der Kapitän starrte mich an, als hätte ich ihm vorgeschlagen, die Bank von England auszurauben. Das Einzige, was er herausbrachte, war ein heiseres »Häh?«.
»Ich möchte gern Ihre Annemarie kaufen«, wiederholte ich. »Wie viel wollen Sie dafür haben?«
Der gewaltige Adamsapfel des Kapitäns begann, auf und ab zu wandern. Dann holte der Alte seine Brille aus der Jackentasche und putzte sie.
»Tja«, sagte er irgendwann. Und noch mal: »Tja.« Immerhin funktionierte seine Stimme wieder.
»Ich könnte Ihnen fünfhundert Euro geben«, sagte ich und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Ich wusste schließlich nicht, wie er auf mein Angebot reagieren würde.
Und wie er reagierte! Sein Hals schwoll an, er schien noch zu wachsen, seine Augen traten fast aus ihren Höhlen. Dann fasste er mich plötzlich an den Oberarmen, hob mich wie eine Feder hoch und zischte mir mit zusammengebissenen Zähnen ins Gesicht: »Fünfhundert Euro. Sagtest du wirklich fünfhundert Euro?«
»Wir können auch über sechshundert reden«, sagte ich schnell und bettelte: »Würden Sie mich wohl wieder runterlassen?«
Doch der Kapitän dachte gar nicht daran. »Das ist eine...«, brüllte er los und brach ab. »Das ist...«, sagte er etwas leiser und wusste wieder nicht weiter. »Das ist... ein Angebot«, murmelte er schließlich und setzte mich auf den Boden – worüber ich mich natürlich freute. Ich hatte mich da oben, unmittelbar vor seiner enormen Nase, echt nicht besonders wohl gefühlt.
»Ich muss nachdenken«, sagte der Kapitän, klettertean Deck des Schiffs und ließ sich in seinen Liegestuhl fallen.
»Wann soll ich wiederkommen?«, rief ich hinauf.
Doch der Kapitän antwortete nicht. Er schob den Strohhut ins Gesicht und faltete die Hände über dem Bauch. Wie es aussah, war ich ab jetzt Luft für ihn.
Elftes Kapitel
N ach einem unruhigen Schlaf riss mich am folgenden Morgen das Läuten der Türglocke aus meinen Träumen. Ich wälzte mich aus dem Bett, um aufzumachen, da hörte ich Mamas Stimme. »Besuch für dich!«, rief sie. Ihre Stimme klang immer noch ein bisschen brüchig, aber schon viel besser als in den Tagen zuvor.
»Bin gleich da!«, antwortete ich und rannte ins Badezimmer. Dort steckte ich den Kopf unter den Wasserhahn, verteilte großzügig Mamas Deo in meinen Achselhöhlen und putzte mir die Zähne. Dann kämmte ich mich und stellte bei einem Blick in den Spiegel fest, dass ich gut aussah. Ehrlich, ich mochte mich. So konnte ich Linda gegenübertreten – auch wenn mein verletztes Auge immer noch grün schimmerte und mir die Nase ein bisschen krumm erschien.
Doch im Hausflur stand nicht Linda, sondern der Kapitän. Er hatte seine Uniform ausgebürstet, sich rasiert und geputzte Schuhe angezogen. Auf einem Kreuzfahrtschiffhätte er zwar immer noch nichts zu suchen gehabt. Doch im Vergleich zu sonst sah er fast wie ein zivilisierter Mensch aus.
»Das ist Herr...«, begann meine Mutter, dachte nach und fragte dann: »Wer sind Sie eigentlich?«
Er zog seine Uniformmütze vom Kopf und wienerte den weißen Schirm an seinem Ärmel. »Sagen Sie einfach Käpt’n, Madame«, antwortete er. Wer hätte das gedacht, der Mensch konnte echt höflich sein!
Mama lächelte. »Madame – das ist schön«, sagte sie. »Ich muss mit Ihrem Sohn sprechen«, erklärte der Kapitän. »Es ist was Geschäftliches.«
Ich gab dem Mann ein Zeichen und er folgte mir in mein Zimmer. Es war wie üblich nicht aufgeräumt, aber ich wusste, dass er keinen Blick dafür haben würde. Er hockte sich mit seinen langen Beinen aufs Bett, ich
Weitere Kostenlose Bücher