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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
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Afrika.«
    »Das ist sehr weit, Marius.«
    »Sehr, sehr weit, Mama.«
    Sie versank in tiefes Nachdenken. Ob ihr die Gedanken genauso durch den Kopf liefen wie mir? Oder waren sie langsamer? Gingen sie Umwege? Statt links-, rechtsherum? Vielleicht studierte ich später doch keine Mathematik, sondern wurde Hirnforscher.
    Irgendwann schaute mich meine Mutter an. »Trotzdem«, sagte sie.
    »Wie meinst du das?«
    »Erzähl es dem Käpt’n«, antwortete sie. »Auch wenn die Bar so weit weg ist.«
    »Sansibar, Mama. Die Insel heißt Sansibar.«
     
    Ich folgte dem Rat meiner Mutter. Sie ist vielleicht nicht so schnell im Denken, aber im Fühlen nimmt sie es mit jedem auf. Wenn sie zum Beispiel sagt: »Unserem Briefträger geht’s nicht gut«, kann man sicher sein, dass er am nächsten Tag von seinen Nierensteinen erzählt. Oder vom Tod seines Dackels. Ich weiß nicht, wie sie das macht; sie spürt einfach, was mit den Menschen los ist.
    Als ich zum Gartenweg kam, lag der Kapitän auf dem Deck der Annemarie und las. Er hatte weder Mütze noch Strohhut aufgesetzt. Das graue, von weißen Strähnendurchzogene Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Von weitem sah er wie ein alter Indianer aus.
    »Hallo!«, rief ich.
    Sofort schaute er von seinem Buch hoch. »Hast du’s dir überlegt?«, brüllte er so laut, dass wahrscheinlich demnächst die Dachpfannen seines Hauses herunterfielen.
    »Hab ich!«
    »Dann komm an Bord!«
    »Was ist nun?«, fragte er, nachdem ich die Leiter hinaufgestiegen und über die Reling geklettert war. An seinem Liegestuhl stand eine halb volle Flasche mit Feuerwasser, daneben lag ein zerfleddertes Taschenbuch. Es hieß »Die Entdeckung der Langsamkeit«. Auf dem Cover war ein Schiff zu sehen.
    »Prima Geschichte«, sagte er. »Verrückter Käpt’n im Eismeer. – Warum willst du die Annemarie kaufen?«, fragte er übergangslos.
    »Ich kenne da ein Mädchen«, antwortete ich. »Sie segelt gern.«
    Er nahm seine Lesebrille ab und putzte sie mit einem Zipfel seines Hemds. »Du willst ihr das Boot also schenken«, sagte er.
    »Nicht schenken. Wir könnten zusammen segeln. Vielleicht sogar bis nach Sansibar.«
    »Du weißt, wo Sansibar liegt?«, fragte er. Sein Gesicht blieb unbewegt.
    Ich nickte. »Vor Ostafrika. Im Indischen Ozean.« »Das schafft die Annemarie nicht. Erst in die Nordsee, dann durch den Kanal und den ganzen Atlantik. Dann anWestafrika runter bis zum Kap der Guten Hoffnung und den Indischen Ozean rauf. Vergiss es, mein Junge.«
    Ich hockte mich auf die Reling. Die weiße Farbe auf den Deckplanken war fast vollständig abgeblättert, aber das Holz machte, soweit ich das beurteilen konnte, einen guten Eindruck. Zu blöd, dass ich niemanden kannte, der mehr davon verstand.
    »Eigentlich geht es gar nicht um Sansibar«, sagte ich.
    Der Kapitän nahm einen tiefen Schluck Feuerwasser und rülpste. »Worum denn?«, nuschelte er, während er sich den Mund am Ärmel seiner Uniformjacke abwischte.
    Jetzt musste es heraus. Sollte er doch von mir denken, was er wollte. »Ich mag Linda. Wenn sie ein Schiff hat... wenn wir ein Schiff haben, mag sie mich vielleicht genauso sehr, wie ich sie mag. Verstehen Sie?«
    Er schloss die Augen. »Oh ja«, murmelte er. »Oh ja, die Frauen!«
    Ich glaubte schon, dass er eingeschlafen wäre, da sprang er plötzlich aus seinem Liegestuhl hoch. »Also gut«, sagte er. »Für zweitausend Euro kannst du die Annemarie haben.«
    Zweitausend Euro? Der Kapitän hatte wohl zu lange in der Sonne gelegen! »Sechshundert Euro«, sagte ich ungerührt.
    »1500, weil du es bist.«
    »650.«
    Er wischte sich den Schweiß ab. »1200. Aber das ist jetzt wirklich mein letztes Angebot.«
    Ich gab nicht nach. Der Kapitän war gerade so schönin Fahrt. Sollte er mit dem Preis ruhig noch ein bisschen runtergehen. »Siebenhundert«, sagte ich.
    »Du bist eine verdammt harte Nuss, Kleiner. Tausend Euro und keinen Cent weniger«, brüllte er los und nun wusste ich, dass es keinen Zweck mehr hatte, weiter mit ihm zu handeln. Ich dachte an Omas Zusicherung, mir für die Rettung unserer Finanzen was zu schenken. Wenn sie sich an den Kosten für das Schiff beteiligte, kriegte ich die Kaufsumme zusammen.
    Ich streckte dem Kapitän die Hand hin. »In Ordnung.« Er schlug ein. Meine Hand verschwand vollständig in seiner riesigen Pranke. »Tausend Euro. Bar auf die Kralle.
    Kein Scheck, kein Schuldschein. Verstanden?« »Geht klar, Chef.«
    In diesem Moment musste ich ein zweites Mal an Oma denken.

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