Bis unter die Haut
Windeln wechseln. Sie fühlt sich ein bisschen feucht an.
»Okay, kleiner Liebling, dann wollen wir dir mal eine neue Windel verpassen und danach was Leckeres zu essen machen!«
Willow geht ins Kinderzimmer und legt Isabelle auf die Wickelkommode. Sie hat schon mit dreizehn angefangen babyzusitten und bereits einige Kinder gewickelt, aber bei Isabelle ist es das erste Mal. Windeln wechseln ist zwar nicht gerade die schwierigste Aufgabe, aber in diesem Fall doch schwieriger, als sie gedacht hätte, weil Isabelle Stoffwindeln trägt.
David hat schon etliche Male mit Cathy darüber diskutiert. Er findet sie schwer aufzutreiben und einfach in jeder Hinsicht unpraktisch, aber Cathy, die Umweltrecht studiert hat, besteht hartnäckig darauf.
»Okay, das kann ja nicht so schwer sein …« Willow greift nach einer Stoffwindel und zwei Sicherheitsnadeln.
Aber Isabelle erweist sich als nicht besonders kooperativ. Krank und fiebrig wie sie ist, wirft sie sich ständig hin und her und strampelt mit den Beinchen, sodass Willow, die mit den speziellen Sicherheitsnadeln für Windeln keine Erfahrung hat, sie aus Versehen damit sticht. Isabelles lautem Schreien nach zu urteilen, wohl auch ziemlich fest.
»Oh nein!« Wie konnte ihr das nur passieren? Willow starrt entsetzt auf den winzigen roten Einstich in der makellosen zarten Babyhaut ihrer Nichte.
Sie berührt vorsichtig die Stelle, an der sie sie gepikst hat und legt die Hand darüber, so wie Guy die Hand auf ihre Wunden am Bauch gelegt hat . Was sie Isabelle da gerade aus Versehen angetan hat, unterscheidet sich natürlich vollkommen von den tiefen Schnitten auf ihrem Bauch. Aber was, wenn es nicht bei diesem winzigen Nadelstich bleiben würde? Einen Augenblick lang stellt sie sich vor, Isabelles Haut wäre genauso von Narben und Schnittwunden übersät wie ihre eigene. Was würde sie empfinden, wenn sie zum Beispiel in zehn, fünfzehn Jahren herausfinden würde, dass Isabelle eine Ritzerin ist?
Willow zieht hastig die Hand zurück.
Und wenn sie David und Cathy getötet hätte, was dann? Würdest du es dann immer noch so schlimm finden, dass sie sich ritzt?
Sie wickelt Isabelle ohne weitere Zwischenfälle, wenn auch mit zitternden Händen, zu Ende und geht dann mit ihr in die Küche.
»Das haben wir doch fürs Erste gar nicht so schlecht hingekriegt, hm, was meinst du?«, sagt sie mit zittriger Stimme. So viel zum Thema perfekte Babysitterin. Wenigstens hat Isabelle aufgehört zu weinen. Offensichtlich hat sie sich von dem kleinen Vorfall schneller erholt als Willow selbst.
»Hast du Hunger, Süße?« Sie öffnet erfolglos ein paar Küchenschränke, heute sind noch nicht einmal Brezeln und Babygläschen im Haus. »Ganz toll.« Sie schlägt die Tür ein bisschen lauter als nötig zu und geht zum Kühlschrank.
Der verspricht mehr Erfolg. Zwischen ein paar anderen Sachen stehen eine volle Packung Eier und ein angebrochenes Päckchen Butter. Willow setzt Isabelle in ihren Hochstuhl und macht sich daran, ein paar Eier in eine Schüssel zu schlagen. Anschließend stellt sie eine Pfanne auf den Herd, gibt etwas Butter hinein und beginnt, die Eier zu verquirlen, in Gedanken immer noch bei dem, was gerade passiert ist. Geistesabwesend gießt sie die Eiermasse in die Pfanne und stellt die Schüssel ins Spülbecken.
Während sie wartet, dass die Eier stocken, starrt sie aus dem Fenster, bekommt jedoch kaum etwas von dem mit, was draußen vor sich geht. Sie sieht nichts außer Isabelles makelloser Haut vor sich.
Als sie sich schließlich wieder vom Fenster wegdreht, stößt sie einen entsetzten Schrei aus. Die Eier brennen! Die Pfanne brennt. Die ganze Küche brennt. Schnell zieht sie die Pfanne von der Platte.
Nicht schon wieder!
Das ist ihr erster Gedanke. Sie hat es schon wieder getan. David hatte recht, sie erledigt auch noch den Rest der Familie. Während sie kaum den Blick von dem beißenden Rauch abwenden kann, schießt ihr noch ein anderer Gedanke durch den Kopf. Was ist, wenn es ihr gelingt, Isabelle zu retten? Wenn es dieses Mal anders abläuft?
Als der Rauch sich allmählich auflöst, sieht Willow, dass keinerlei echte Gefahr droht. Nie eine gedroht hat. Schließlich ist es auch ziemlich unwahrscheinlich, dass ein paar angebrannte Rühreier ein Großfeuer auslösen.
Weder brennt es, noch wird sie an Isabelles Tod schuld sein oder ihr in einem heroischen Akt das Leben retten. Sie ist nichts weiter als ein junges Mädchen, das beim Versuch zu kochen eine
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