Bis unter die Haut
hättest fragen können, ob er eine Katze hat!
Sie ist fassungslos, dass sie tatsächlich etwas so unglaublich Dummes gesagt hat, und Guys Gesichtsausdruck nach zu urteilen, geht es ihm nicht viel anders.
»Spaß? Spaß ? Oh, na klar! Es hat echt wahnsinnigen SPASS gemacht! Glaubst du vielleicht, das geht alles völlig spurlos an mir vorbei? Scheiß drauf!« Guy spuckt die Worte förmlich aus. Willow zieht unwillkürlich die Schultern hoch. Sie hat ihn noch nie so reden hören. »Seit ich das erste Mal deine Arme gesehen habe, bekomme ich fast kein Auge mehr zu, geschweige denn irgendetwas für die Schule auf die Reihe. Glaubst du vielleicht, mir gefällt das? Dass mir das Spaß macht? Scheiß auf das alles – scheiß auf dich !
Willow fühlt sich, als hätte er ihr eine schallende Ohrfeige verpasst. Ihr ist nicht klar gewesen, dass der ruhige, gelassene Guy so wütend werden kann. Dass ihr gemeinsamer Tag für ihn nicht auch magische Momente gehabt hat. Und dass er die Macht hat, ihr so unglaublich wehzutun.
»Nein, ich glaube nicht, dass das alles Spaß macht.« Ihre Stimme ist kalt und hart. Sie will ihn nicht länger beschwichtigen. »Aber weißt du was, Guy? Ich hab dich auch nie gebeten, dich um mich zu kümmern oder heute herzukommen. Du kannst jederzeit gehen. Bitte, da ist die Tür.«
»Genau, ich kann ja jederzeit gehen«, antwortet er sarkastisch. »Denkst du wirklich, ich könnte einfach so abhauen, nach allem, was in der Bibliothek passiert ist?«
Willow würde ihn gern fragen, was genau er mit nach allem meint. Ihren Kuss? Oder dass sie sich vor ihm geschnitten hat? Aber sie tut es nicht.
»Ich kann echt drauf verzichten, mit jemandem Zeit zu verbringen, bei dem man ständig aufpassen muss, was man sagt oder tut«, stößt Guy wütend hervor. »Aber was ist die Alternative? Ich hab keine Lust, dich auf dem Gewissen zu haben.«
Okay. Willow hat ihre Antwort. So wie es aussieht, ist sie für ihn nichts weiter als eine Art außerschulisches soziales Hilfsprojekt. Und dabei wird sie auf keinen Fall länger mitspielen.
»Leb dein Helfersyndrom an jemand anderem aus, Guy. Ich hab nie von dir verlangt, den Seelsorger für mich zu spielen.« Sie versucht so viel Verachtung wie möglich in ihre Stimme zu legen, scheitert darin aber genauso wie mit ihrem Versuch, die perfekte Babysitterin für Isabelle zu sein. Tatsächlich klingt sie vor allem ängstlich und verwundbar. »Kümmere dich wieder um deinen eigenen Kram – die Dinge, von denen du gesagt hast, ich würde sie so kompliziert und schwierig machen. Lern für die Schule, besuch deine Vorlesungen, geh morgens rudern, versuch, eure Zeit um zehn Sekunden zu verbessern. Aber hör auf, dir um mich Gedanken zu machen.«
»Ich soll aufhören, mir Gedanken um dich zu machen?« Guy schüttelt den Kopf. »Das heißt, du hörst auf, an dir selbst herumzuschneiden? Hast dich jetzt völlig im Griff?«
Willow hat keine Antwort darauf. Stattdessen denkt sie an das, was sie einander alles erzählt und anvertraut haben, was sie gemeinsam erlebt haben. Wie hat all das so hässlich enden können? Sie wünscht sich, sie könnte die Rückspultaste drücken und die letzten zehn Minuten einfach löschen. Und in diesem Moment wird ihr klar, dass es bei ihr liegt, die Situation noch irgendwie zu retten – so schwer ihr das auch fällt.
»Ich werde schon klarkommen«, sagt sie nach einer Weile. »Wenn du hierbleibst, weil du glaubst, mich dadurch vom Ritzen abhalten zu können, dann geh. Wenn du Angst hast, dass ich für immer eine Ritzerin bleibe, wenn du gehst, dann solltest du erst recht gehen, und zwar so schnell wie möglich. Ich will nicht, dass du nur deswegen bleibst. Aber ich weiß, wenn du gehst, dann …« Sie verstummt, legt die Ellbogen auf den Tisch und stützt den Kopf in die Hände. Es ist viel einfacher, sich selbst zu verstümmeln, als ihm zu erklären, was sie fühlt.
»Dann was? Wenn ich gehe, dann was?« Seine Stimme klingt so wütend, dass sie versucht ist, einen Rückzieher zu machen.
»Na los, red schon weiter! Wenn ich gehe, dann was ?«, wiederholt Guy.
Willow könnte ihm vieles darauf antworten. Zum Beispiel, dass sie wahrscheinlich besser dran ist, wenn er geht. Weil sie dann keine Angst mehr haben muss, von all diesen Gefühlen überwältigt zu werden, die sie im Magazin empfunden hat und sogar jetzt, während sie hier mit ihm sitzt. Dass sie endlich wieder in Ruhe ihrer eigenen außerschulischen Aktivität nachgehen kann und keine
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