Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
mächtig auf, auch wenn das Geld immer nur für die nächste Tankfüllung reichte - wenn überhaupt. Nach dem ersten Konzert gab unser Opel den Geist auf. Ein gewisser Jochen, der die Tour managte, mußte von Stuttgart nach Düsseldorf zurück und was Neues organisieren - weil er aber vorher bei seiner Freundin in Niederkassel für zweitausend Mark telefoniert hatte, flog er bei ihr erst mal raus. Zwei Gigs später waren wir bereits pleite; wieder mußte Jochen zurück. Und so weiter.
Aber wir kamen durch, irgendwie, und erreichten zum Finale furioso das »Okie Dokie« in Neuss. Ich weiß nur noch, daß Jochen persönlich an der Kasse stand und den letzten der siebenhundertundnochwas Zahlenden später eigenhändig auf den Tresen half, damit sie überhaupt noch was sehen konnten. Immerhin wurde dadurch das Minus in der Kasse erheblich verringert - und am Nachmittag war schon eine sehr gut besuchte Kinder-Vorstellung gelaufen. Wer hier einen Fünfer löhnte, wurde wirklich hervorragend bedient, denn der kleine, für maximal zweihundert Nasen zugelassene Club wackelte und dröhnte vor Vergnügen.
Wer das erlebt hatte, glaubte uns die Nummer mit der »Abschiedstournee« sowieso nicht richtig. Ohne es zu wissen, hatten wir die neue Keimzelle schon an Bord. Denn da war Trini, der mal beim KFC gesungen hatte, aber auch halbwegs Schlagzeug spielen konnte, und der uns für eine Dokumentation über die Tournee, die nie fertig wurde, mit einer nicht sehr vertrauenerweckenden Video-Kamera verfolgte -einem komplizierten Modell aus der Gründerzeit vor dem VHS-Mainstream. Sein Witz und seine Mode, die meist aus Fundsachen in einer Gelsenkirchener Kleiderstelle stilsicher zusammengesetzt war (keine Ironie!), waren unverwechselbar. Der Kerl war einige Jahre älter als wir, aber auch fünfmal verrückter. Der zog das nicht als eine Show ab, die Anfang und Ende hatte, sondern der lebte das, vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Er war Flingerns Antwort auf Keith Moon, und zusammen waren wir beide anfangs sowas wie die Chefideologen der Band. Wir hatten die Visionen, lieferten die Ideen und hatten die besten Erklärungen dafür, wenn beides wieder mal nicht richtig aufging.
Dann war da mein ältester Freund Andi, der uns schon bei ZK photographiert hatte und als »Roadie« unsere winzige »Anlage« aufbauen sollte, die mit bloßem Auge kaum zu erkennen war. Kuddel war längst dabei; als einziger Virtuose von uns war er im Grunde schon damals ein unverzichtbares Alibi. Außerdem hatten wir mit Jochen Hülder bei dieser Tour schon einen Management-Vampir dabei, der mangels Umsatz selbst noch ein bißchen blaß aus seiner natogrünen Bomberjacke blickte - und trotzdem blieb.Jochen hatte mit einem gewissen Gino eine kleine Konzertagentur für neue Acts aus der Punk- und Avantgarde-Szene. Das hieß zu der Zeit, anfangs der Achtziger, zwischen lauter kleinen Feuern hin- und herzurennen, die alle nicht richtig brannten. Einstürzende Neubauten, Malaria, Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Theatre of Hate - lauter Low-Profit-Geschichten. Und dann, als Krönung, wir.
Jochen war gerade mit Malaria auf Tour, als er von den Hosen hörte. Er hatte bei ZK draufgezahlt, aber viel erlebt -und er hatte uns dabei kennengelernt. Das war wohl der entscheidende Punkt. Er hing schon ein bißchen drin und kam dann nicht mehr raus - Venus Fliegenfalle. Oder sollte der alte Transsylvanier einfach damals schon geahnt haben, daß auch er reich & sexy werden würde, wenn er nur lange genug in der Nähe unserer ungewaschenen Hälse blieb?
»Überhaupt nicht, weil-danach sah es wirklich nicht aus. Der Grund war eher, daß ich sowieso mal alle Autobahn-Raststätten in Deutschland kennenlernen wollte. Das war immer mein Ziel. Und ich glaube, bis zur Wiedervereinigung hab ich sie auch alle geschafft. Rock’n’Roll heißt ja vor allem: fahren, fahren, fahren, Kilometer fressen, kreuz und quer durch das Land. Wie oft wir allein an dieser Scheiß-Grenze gestanden haben und nachts über die Transitstrecke geeiert sind! Oder total breit von Frankfurt nach Düsseldorf zurückfahren, morgens um halb fünf am Leverkusener Kreuz, völlig fertig mit der Welt. Oder diese komischen Ecken bei Kassel, Göttingen und Hof, die wir dann auch noch mitgenommen haben, weil wir da noch nicht waren - selbst wenn es eine Stunde mehr gekostet hat.
Der zweite Grund war, daß ich als einziger von hundertzwanzig Abiturienten in Solingen durch das Abi gefallen bin.
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