Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
fürs Ende des Festivals mißverstanden. Den Abend davor war es nicht besser. Nun sitzen wir also in irgendeinem Hotelzimmer zusammen bei Kaffee und Saft und reden endlich über unseren Drogenverbrauch. Gestern nach dem Gig habe ich rumgebrüllt, daß ich so nicht mehr weitermachen will. »Ich geh nicht mehr mit ein paar vollgedröhnten Arschlöchern auf Tournee, die immer schlechter werden! Da draußen stehen Leute, und die wollen nicht enttäuscht werden! Das ist nicht mehr die Idee, wie es laufen sollte!«
An diesem Morgen gibt es keine Heiligen .Jeder packt aus mit seinem ganz persönlichen Verbrauch. Das Gesamtbild ist, vorsichtig ausgedrückt, katastrophal. Und das war abzusehen. Auf unseren Room-Parties bekamen wir zuletzt Straßen für zigtausend Mark im Monat gelegt. Es wurde gesnifft und gelöhnt, schnell war ein neuer Fünfhunderter-Schein fällig. Was nicht direkt bezahlt wurde, kam auf die Rechnung. Auf diese Weise haben wir oft Schweinesummen nachzahlen müssen, acht-, zehn-, zwölftausend Mark. Wir waren Lichtjahre entfernt von allem und gaben ein paar scheinbar großartige, aber auch viele mäßige und peinliche Gigs.
Wie tief zum Beispiel Kuddel drinhing, merkte ich daran, daß er auf dieser Tour als Gitarrist von Breiti manchmal überholt wurde. Das hätte er unter anderen Umständen nie zugelassen. Von mir selber hatte ich irgendwann den Eindruck: Das bin ich gar nicht mehr. Ich mußte an die Anfangszeit des Punk denken, wo alle Arten von Drogen, außer Alk, als Todsünde galten. Wer wollte vor seinen Kumpels schon als Hippie dastehen, als Pothead und Freak? Doch diese ideologische Schranke fiel schnell, bei den Bands eher als bei den Fans. Hier waren wir nun, die fünf Punkrocker, knietief im Drogenschnee und in den Birnen ziemlich abgedriftet. The Ramones meet Grateful Dead - unglaublich!
Da ist eine ganz feine Linie: zwischen dem Spaßhaben, wo du deine Dinge trotz Drogen noch geregelt kriegst, und völligem Abdriften, wenn es in jeder Hinsicht asozial wird. Ich kenne Leute von früher, die mit ihrer Birne irgendwann hinter einer ständigen Nebelwand verschwanden, aus der sie bis heute nicht wieder aufgetaucht sind. Nicht wenige sind aus ihren Jobs geflogen und leben heute von der Stütze, vom Dealen oder von dem, was erschrockene Passanten ihnen in der Altstadt in die Klaue drücken. Andere sind mit irgendwelchen Kleinbürgerexistenzen künstlich ruhiggestellt. Bol-lock, unser langjähriger Freund und Roadie, kostet gerade vom Methadon-Programm der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Das ist nicht lustig, das ist der Horror-Trip!
Ich will aber nicht auf den Horror kommen in diesem Sommer 1991, weder alleine noch mit einer Band. Ich will, daß wir das Ding herumgerissen kriegen. Zum ersten Mal seit dem Stimmband-Anriß vor zwei Jahren gibt es wieder eine Situation, die nach einem möglichen Ende der Hosen aussieht; und das muß ja wohl nicht sein - oder? In diesem Hotelzimmer in der Schweiz sind wir uns bald wenigstens soweit einig, daß wir in den nächsten zwei Hosen-freien Wochen das Ganze noch mal überbrüten wollen - jeder für sich, allein im Urlaub. Als wir uns dann übers Wochenende in einem angemieteten Häuschen am Essener Baldeneysee einigeln, ist die Hektik aus der Auseinandersetzung raus. In langen Abendsessions legt jeder seine Position dar, und dann überlegen alle zusammen, was wir tun können.
Es wird bald klar, daß es in jedem Fall weitergehen soll. Es wird auch klar, daß Sachen wie Koks und Speed von nun an auf den Index kommen. Wer das Zeug etwa vor Auftritten nimmt, macht sich vor den anderen strafbar - und das wiegt schwerer als der Bruch mit dem bürgerlichen Gesetzbuch. Wie ein parlamentarischer Ausschuß oder eine Bischofssynode erarbeiten wir zukünftige Leitlinien für uns. Nur viel genauer, denn wir sind’s ja selbst! Die geheime Vollversammlung war immer unsere Stärke, wenn es irgendwo klemmte. Dann ging es mit zwei Karren ab in die nächste Botanik, und dort wurde von sechs Uhr abends bis vier Uhr nachts und
»ROTZEN. ROCKEN, RAUSCHGIFTORGIEN«: Das Foto zur Schlagzeile. Gestellt 1987.
länger rumpalavert. Auch diesmal ist die Lage hinterher bereinigt, ohne daß jemand auf der Strecke bleibt. Wir kriegen noch immer zusammen Spaß, auch wenn der Trip nur aus einer bescheuerten Bootsfahrt über den Baldeneysee besteht.
Die Moral von der Geschichte? Vielleicht sollten wir unsere Moritaten in kleinen Happen noch mal dem »Express« verkaufen, dieser
Weitere Kostenlose Bücher