Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
gewesen, der manche reinläßt und manche nicht: Tote-Hosen-Trockenbeerauslese exklusiv für 77er-Punks mit Lizenz. Außerdem war es zu der Zeit schon eine radikale Geste, zu sagen: Klar, wir lassen uns manchmal vollaufen, warum auch nicht. Und das ohne diesen BAP-artigen Sozialarbeiterton, wo die Warnung vor den Folgen gleich mit eingebaut ist. Dieser Linie folgten nicht viel später noch das Altbierlied und »Bis zum bitteren Ende«.
Und heute basteln wir auf einmal schon an unserer elften LP. Ewig währt am längsten! Es ist Mitte September 1995, halb zehn am Morgen irgendeines Wochentages. Seit wir wieder im Studio sind, interessieren mich die Namen der Tage nicht mehr, die sich im Ablauf wie Zwillinge gleichen. Seitdem heißt es, von elf Uhr vormittags bis ultimo zwischen Mischpult und Mikrofon zu leben, zu denken, zu fühlen für das nächste große Ding. Das bißchen davor und danach, das auf privat geht, ist ziemlich bedeutungslos. Und ebenfalls von den Aufnahmen bestimmt: Genug schlafen, um ausgeschlafen zu sein; was essen, um gegessen zu haben. Aber es ist kein Käse im Kühlschrank und kein Quark. Ich steige in die Karre und kaufe im Supermarkt Sachen ein, die ich sechs Tage später wieder verschimmelt in den Müll schmeißen werde. Eine neue Platte - da bist du fast pausenlos völlig aus dem Häuschen.
Eine Scheibe Käse, eine Brötchenhälfte, zwei Tassen Kaffee. Wieder in die Karre, vom Hinterhof aus in Richtung
Oberbilk, über die Kölner, dann durch die Innenstadt, Fürstenplatz, Corneliusstraße. Das geht mittlerweile auch im Koma. Zur Arbeit fahren wie andere auf die Schicht, drei Monate lang plus samstags und sonntags. Niemand hat uns dazu gezwungen, wir haben es selbst so gewählt. Dazu gehört, daß man in dieser Zeit keine Verabredungen irgendwelcher Art treffen kann, weil man immer zur Verfügung stehen muß. Über dreißig Stücke sind entstanden, seit wir im Januar mit dem Bau der ersten Songs begonnen haben. Davon acht bis zehn auszusortieren, die wir vorläufig nicht bringen, gibt richtige Zerrungen im Herz. Diejungs von der Opel-Gang haben noch immer genug zu sagen und zu singen, schätze ich; bis zum bitteren Ende ist es noch ein paar Ampeln entfernt.
Drei Monate Zeit zu haben, um eine CD aufzunehmen -das sind mittlerweile optimale Bedingungen. Als wir im Sommer '83 unsere erste LP einspielen wollten, sahen die Verhältnisse anders aus. Wir hatten zwar mit der dritten kleinen Scheibe, »Bommerlunder/Opel-Gang«, weiter Land gewonnen - auch bei Leuten, die von Punk oder Punkrock bisher null mitbekommen hatten. Aber Kohle war dadurch noch nicht reingekommen. So schraubten wir für die LP zwei, drei Tage lang an den Nummern, dann gingen uns wieder die Kohlen aus. Im Unterschied zu Rudas Soundküche wollte die Truppe des Studios in Bochum-Langendreer ihren Tausender für den Tag sofort sehen. Und Produzent Jon Caffery, den unser Manager Jochen von seiner Tour mit der Berliner Frauencombo Malaria her kannte, kostete dazu noch einmal drei Hunderter am Tag. Jedenfalls, wenn er da war - die meiste Zeit verbrachten wir damit, auf ihn zu warten, da er ständig Flüge verpaßte, oder ihn aus anderen Studios rauszuholen.
Wir fingen also immer gerade an und hörten dann auch schon wieder auf; ein, aus, ein, aus. Wie kleine Kinder, die den Lichtschalter im Zimmer entdeckt haben. Einmal ging Jochen, unser blutarmer Vampir, was pumpen. Ein anderes Mal fuhren diejungs ohne mich zu einem Gig nach Bremen, weil ich noch den Gesang zu »Willi muß ins Heim« im Studio abliefern mußte, wir aber das Geld für den Gig verdienen wollten. Die Leute in Bremen mußten sich den Gesang an dem Abend selbst machen, und das klappte sogar ganz gut. Doch wäre in einer dieser »Aus«-Phasen nicht Elton John zu Hilfe gekommen, hätte es »Opel Gang« in der Form vielleicht nicht gegeben.
Brillen-Elton war nämlich in diesem Sommer der Knüller, den der Tournee-Veranstalter Fritz Rau für die Herbstsaison auf Lager hatte. Und es hieß, Brillen-Elton hätte sich in Ger-many ausdrücklich Präsenz vor seinen Gigs gewünscht. Der Rest blieb an Andi, mir und ein paar anderen von der Plakatierfirma hängen - und an zigtausend Eimern Kleister, mit denen wir das Antlitz des Meisters auf sämtliche Plakatwände im Großraum Düsseldorf bürsteten. Wir wickelten im Auftrag von Fritz Rau die ganze Stadt und ihre Vororte in die bescheuerte, funkelnde Brille von Meister Elton, und taten der Geschichte der abendländischen
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