Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
nicht an einen bestimmten Sound gebunden ist. Unser Vier-Viertel ist heute wie damals eine Erbschaft des Rock’n’Roll. Alles übrige hat sich mit den Jahren zu etwas entwickelt, das nicht mehr übertragbar ist. Wir haben unseren eigenen Zusammenhang, unseren eigenen Planeten, und wir folgen den Gesetzmäßigkeiten, die es dort gibt.
Unsere neue Platte soll besser werden als die alte, sie soll erzählen, wer und was wir heute sind - und nicht das, was wir vor fünf Jahren gedacht und gelebt haben. Dafür steige ich jeden Morgen in die Karre, dafür stehe ich monatelang täglich zwölf Stunden und länger unter den Kopfhörern. Und eines weiß ich jetzt schon: Sollte das, was dabei am Ende rauskommt, nicht gut geworden sein, reiße ich mir hinterher sämtliche Haare aus. Und dann will ich sofort ein neues, besseres Album machen.
Sofort!
Ruhm durch Penetranz
Ich weiss nicht, ob die Leute wirklich wissen wollen, was damals mit der EMI und den anderen Primaten lief. Für uns war es wichtig, damals, aber für wen sonst? Ich glaube, die Leute wollen viel lieber was Erbauliches lesen, etwas, das ihnen für ihren Alltag ein wenig Mut macht. So in der Art: Wenn diese fünf pickeligen, unterbelichteten Typen aus Düsseldorf Erfolg haben, dann kann ich auch erfolgreich sein. Das wollen die Leute! Aber Details über einen Kleinkrieg mit der Plattenfirma?
Ich weiß auch nicht, ob ich, Trini, das gerne erzählen will. Viel lieber würde ich erzählen, daß ich eigentlich Filmemacher bin. Anfang der Achtziger habe ich zusammen mit meinem Schulfreund Muscha und mit Hilfe der staatlichen Filmförderung kleine schmutzige Filmehen gemacht. Es wirkten mit: Christiane F. (die echte), William Burroughs, Genesis P. Orridge, Ralf Richter u.v.a. Das sind definitiv die besten Streifen, die zwei Sauerländer bis heute zustande gekriegt haben. Auch die Dokumentation über die ZK-Abschiedstournee wäre ein Knüller geworden, aber irgendwie verhaspelten wir uns mit dem veralteten Bandmaterial, so daß der Streifen nie erscheinen konnte.
Ich würde außerdem gerne erzählen, daß ich genauso eigentlich Fußballer bin und ein eindeutiges Angebot des damaligen Zweitligisten Rot-Weiß Lüdenscheid abgelehnt habe, weil ich für konstante Leistungen schon damals zuviele Drogen und Discos nach dem Training ausprobierte. Oder daß ich einmal von einem Gelsenkirchener Modemagazin zum bestangezogenen Mann irgendeines Jahres - oder Monats? - gewählt wurde. Oder wie ich dem Soca verfiel und in Form von zwei Samplern nach Deutschland brachte. Oder daß ich ursprünglich den Plan hatte, einen Dritte-Welt-Laden zu eröffnen, oder, noch besser, wieviel Spaß es macht, im
Der Trainer und der Manager: Trini und Jochen bei Fortuna 1989
Schnee zu vögeln, wenn man - okay, okay, hier also die EM 1 -Geschichte.
Eigendich konnten wir damals froh sein, daß uns überhaupt jemand wollte. Bis dahin war das Überlaufen zu den Multis mehr unsere Idee gewesen. Wir hielten nichts von diesen riesigen, unbeweglichen Plattenkonzernen, wo man mit seiner Musik auch noch drei Pförtner, acht Archivare und zig Rechtsanwälte durchfüttern muß. Wir wollten aber die Vertriebswege und die ganzen Möglichkeiten haben, die es da gab. Wir wollten diese Maschinerie für uns nutzen, ohne uns auch nur einen Millimeter von uns selbst zu entfernen. Eine Art Doppelagenten-Existenz, wo man beide Seiten verpfeift und im Grunde doch in sich selbst ruht und seine Geschicke voran treibt.
Es war kein geringerer als Horst Hrubesch, der uns dann die Idee lieferte. Das vielumworbene »Ungeheuer« von Rot-Weiß Essen hatte damals sowohl beim Hamburger SV als auch bei Eintracht Frankfurt einen Vertrag für die kommende Bundesliga-Saison unterschrieben. Während jeder dümmliche Sportjournalist sich noch den Bauch hielt über dieses leuchtende Beispiel von Fußballer-Blödheit, erkannten wir bereits das Genialische an Hrubeschs Trick. Also wurde es 1983 unsere infame Strategie, bei zwei großen Firmen gleichzeitig einen Plattenvertrag zu unterschreiben, ohne daß die eine von der anderen erfahren konnte, und dann mit den Vorschüssen durchzubrennen.
Das Problem war nur, daß wir ewig dafür brauchten, überhaupt mal eine Firma halbwegs für uns zu interessieren. Jochen und ich schickten Bänder, Bilder und Infomaterial, einfach alles an sämtliche Firmen, deren Adressen wir auftreiben konnten. Statt zwei dicken Fischen hatten wir aber zunächst nur einen Stapel Briefpapier an der Angel, auf
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