Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
viele Bands immer als erster brachte.
Aber daß wir für die ehrenhaften Aufnahmen mit ihm nach London reisen mußten, auf Kosten der EMI, das war dann der vierte Scheiß-Umstand, der festzustellen war. Und genau wie die drei vorigen waren wir an ihm beinahe unschuldig.
Für diese Aufnahmen wurden wir in einen Hotelbunker nahe dem Heathrow-Flughafen untergebracht, weil Londons City ausgebucht war. Das bedeutete, mehrmals am Tag den Weg ins Zentrum hinein zu machen und wieder zurück.
Schon in Düsseldorf waren wir nie gut darin, vom Stadtrand ins große Gewühl zu machen, und in London sowieso nicht. Wir sind ausgesprochene Vorstadt-Helden. Also setzten wir uns in diese tollen schwarzen Taxis, von denen einem jeder Englischlehrer erzählt, sie wären so hoch gebaut, damit der englische Gentleman darin seine Melone aufbehalten kann, und überließen uns ganz ihrem gedämpften Flugzeugmotorengedröhn. Das war super, weshalb wir uns ab da nur noch in diesen Dingern fortbewegten.
Irgendeiner von uns, ich weiß wirklich nicht wer (und wenn schon...), war dazu an die Account-Nummer der Plattenfirma rangekommen, mit der man das Bezahlen umgehen konnte. Der Rest war sehr einfach: Wir nannten einfach diese Nummer, setzten uns hinten rein und fuhren, fuhren, fuhren. Fuhren zur Tower Bridge, weil wir die Raben dort sehen wollten, oder einfach hin und her, bis wir einen Imbiß aufgetrieben hatten, wo man Fish & Chips noch in Tüten aus Zeitungspapier bekommt, und strengten uns an, wenigstens einmal einen Gentleman mit Melone in einem der anderen Taxis zu entdecken und nicht immer nur uns selbst - denn selbstverständlich hatte jeder von uns ein Taxi für sich.
In Köln jaulte der EMl-Hund, als ihm die Londoner Taxibetriebe die Gesamtrechnung für unsere Beförderung übermittelten. Das brachte alles zum Überkochen. Uns aberging das ständige Gekläffe aus Köln langsam auf die Nerven, und wir hängten die alte Töle endlich ab, indem wir uns von ihr verbellen ließen. »Virgin«, die Privatmaschine von Richard Branson, stand schon auf dem Münchner Rollfeld. Kapitän Udo Lange und seine kleine, schlagstarke Crew erwarteten uns. Campi meinte zwar, daß sie mit den Sex Pistols und Ruts DC im Programm gute Referenzen hätten, aber das war in England. In Deutschland war Virgin ein kleiner Laden, der mit Nicki und den Wölfen heulen mußte. Das schlagende Argument schließlich war: Hier saßen die einzigen Plattenleute, die uns haben wollten.
Der Vertrag lief über zwei LPs und prozentuale Beteiligung; keine Chance, mit einem fetten Vorschuß abzuhauen.
Da waren sie also, unsere zwei Company-Deals, nur eben hinter, statt nebeneinander. Aber ewig währt doch noch ein bißchen länger: Während wir in den nächsten drei, vier Jahren in die erste Liga aufstiegen, wurde Virgin bald darauf samt unseren Platten vom EMI-Köter geschluckt. Und das bestätigte meine Ethik viel mehr, als daß es sie widerlegte: Sei du selbst, denk nur an dich, benutze alle anderen.
Es war trotzdem keine schlechte Zeit, diese Spanne von '83 bis '85. Wir schossen noch keine Tore in Form von Mega-Hits, aber wir brachten uns in günstige Schußposition. Unser Name sickerte in den fruchtbaren Humus der Trendforscher und Szene-Surfer, die ihrer Dancefloor-Euphorie zum Teil wieder überdrüssig geworden waren. Im Strudel sich gegenseitig überlappender Mini-Trends und Ethno-Ausflüge war unsere Musik plötzlich der zuverlässige Ast, an dem sich alle festklammern konnten.
Na gut, fast alle. Die PA-Verleiher und die Hotelmanager schickten uns nach wie vor ihre Schadensrechnungen hinterher, wenn wir bei ihnen etwas verbogen hatten. Wir haben nie absichtlich zerstört, es lief eher wie bei Laurel und Hardy auf einem Ramones-Konzert, und die Rechnungen, die wir dafür bekamen, erstickten alle heimlichen Zerstörungsphantasien bereits im Kaulquappenstadium. Die Veranstalter erzählten immer noch uns, wann sie Zeit für ein Hosen-Kon-zert hätten - nicht umgekehrt. Beides zwei unmißverständliche Zeichen, daß wir noch nicht groß oder berühmt oder sonstwas waren.
Wenn wir in einem Laden nach dem Gig noch ein paar Freunde zum Mittrinken einluden und ohne zu zahlen verschwanden, durften wir meistens kein zweites Mal kommen. Darin waren sich Schicki-Discos jugendzentren und alternative Veranstaltungsorte erstaunlich gleich. Einmal fuhren wir als geschlossene Delegation zur »Batschkapp« nach Frankfurt und erreichten dort die Aufhebung eines kürzlich
Weitere Kostenlose Bücher