Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
fragen, dann auf den letzten Drücker den Weg von der Halle bis dahin vollpflastern, damit es nach Mordsarbeit aussieht, und dann die andere Hälfte von dem Scheiß wegschmeißen. Aber die Blasen unterm Papier sehe ich noch nachts durch getönte Scheiben - egal wie schnell der Bus gerade fährt.
Alles Schweinebanden,genau wie wir. Obwohl - eigentlich waren wir schlimmer, Campi und ich. Heute sind die Zäune und Wände gemietet, alles ist mehr oder weniger legal. Als wir vor zehn, zwölfjahren klebten, gab es das noch nicht. Es war da oft ein Wettlauf mit der Polizei, wenn du die Stadt zugepflastert hast; mit Rolling Stones, Peter Maffay und Zirkus Flic-Flac. Der richtige »Hot Spot«, an dem sich Metylan-
Cracks beweisen konnten, war zu der Zeit der Bauzaun vor der Kunstsammlung NRW an der Heinrich-Heine-Allee -fünfzig Meter freie Fläche an einem Stück. Die Altstadt-Bullenwache war nur hundert Meter um die Ecke. Einer klebte, und einer paßte auf, wann der nächste grüne Wagen kam. Auch Ampelschaltkästen, Stromkästen und sowas waren gute Anlässe, die Sheriffs zu ärgern.
Manchmal mußtest du hundertfünfzig Mark Strafe abdrük-ken, manchmal auch mehr; das ging rauf bis tausend Mark.
Das ging auch in Ordnung, so war das Spiel. Der wahre Feind aber steckte im »Sportstudio Ellermann«. Ellermann war selbst ein Bodybuilder, eine richtige Kante, und für seine Muckibude klebte er eigenhändig. Über Maffay drüber, über Holiday on Ice, über alles, was Campi und ich gerade geklebt hatten. Du warst einen ganzen, schweinisch kalten Nachmittag im Regen unterwegs und hast das Zeug mit blauen Händen angeklatscht, gingst kurz nach Hause und abends auf ein Bier wieder in die Altstadt - und siehst an jedem Zaun plötzlich »Sportstudio Ellermann«. Alles, was du gemacht hattest, war weg. Dann wurde das Sportstudio natürlich überklebt, was wieder Ellermännchen auf die Palme brachte. Der wurde so wütend, daß man besser nicht seine Wege kreuzte.
Entertainment fing bei uns ganz unten an. Wir stellten Reklamereiter für einen Zirkus auf, zwei Pappschilder an jedem Düsseldorfer Baum, jeder Laterne - und nahmen sie alle wieder ab, als die Löhnung ausblieb. Wir schleppten als Gelegenheits-Roadies Anlageteile für die Gigs von BAPund Schroeder Roadshow, bauten für Bettina Wegener in der Uni-Mensa Stuhlreihen auf. Das Showgeschäft ernährte uns bereits, wenn auch nur schlecht. Ich mußte jeden Monat dreihundert Mark für meine Bude auf der Bruchstraße aufbringen, das war ein echter Batzen. Einmal ging ich zum Blutspenden und kippte um, als ich mich hinterher wegen der sechsundfünfzig Mark um einen Laufzettel anstellte. Das war offenbar nicht mein Markt. Manchmal war es schon gut, wenn meine Mutter mir wieder ein Care-Paket mitgab, denn ich selbst war nach meinem Platzverweis zuhause zu stolz, um irgendwas zu bitten.
Mein Vater war einfach überfordert gewesen, als sein Sohn eines Tages mit gefärbten Haaren nach Hause kam. Fünf Tage in der Woche zog er für Springers »Welt« irgendwelche Anzeigen an Land - da war für schrille Sachen einfach kein Platz. Seine Welt war schwarz-und-weiß; hier und da auch mal Zusatzfarbe, aber vorsichtig. Heute ist er sogar stolz darauf, daß sein Sohn einen anderen Weg gegangen ist als er, und daß dieser Weg keine Sackgasse gewesen ist. Er ist inzwischen auch wesentlich aufgeschlossener, aber damals sah er mich in eine Drogenhölle laufen, in ein Chaos aus Lärm und Gruppensex und bunten Haaren. Manchmal war es das auch ein bißchen, aber viel zu selten. Das meiste fühlte sich nicht an wie eine Orgie, und der einzige Stoff, mit dem ich regelmäßig in Berührung kam, war diese klebrige Mischung aus Wasser und Metylan, die sich unlösbar in den Klamotten verfing.
Heute kleben andere für uns Plakate, schleppen Boxen und montieren Lichttraversen. Vierzig Leute sind in der Crew, die uns vom kommenden April an bis Ende des Jahres begleitet. Vierzig Leute und fünf Achtunddreißigtonner, die das gesamte Equipment transportieren. Aber was sagt uns das? Ich muß nicht über den Sattelschlepper nachdenken, der irgendwelche Geräte hinter uns her zieht, oder über die Zimmer in weiß-der-Henker-welchen Hotels. Ich muß weder dafür sein noch dagegen. Und ich hab lange genug gegen »Sportstudio Ellermann« gekämpft, im Sommer wie im Winter, um mich heute mal abends in ein warmes Zimmer mit einem Bett ohne Flecken und einer vollgefüllten Minibar zu legen. That ’s
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