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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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Entertainment.
    Aber Kuddel hat ein wichtiges Ereignis übersprungen. Unser Musiker hat vergessen, daß vor unserer »Damenwahl-Tour Endejuli ’86 noch das Anti-WAA-Festival in Burglengenfeld stattfand. Der Protest gegen die geplante nukleare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf war ein zentraler Abschnitt in der bundesdeutschen Anti-Atomkraft-Bewe-gung der Achtziger, und das mehrtägige Festival zu seiner Unterstützung war auch für uns ein neues Kapitel. Zum ersten Mal spielten wir für Leute, die wir in ihrer Mehrheit noch wenige Jahre zuvor als »Müslis« und »Teppichtaschen« abgetan hätten.
    Es gab anfangs heftige Diskussionen bei uns, ob wir als Punks überhaupt mit Musikern wie Grönemeyer und BAP gemeinsam auftreten könnten. Am Ende siegte bei allen ein Große-Koalitions-Gedanke, daß man sich an bestimmten historischen Punkten unter Umständen auch mit Leuten zusammentun muß, die einem sonst nicht so nahe stehen -die atomare Katastrophe von Tschernobyl war gerade mal sechs Monate alt. Wie sich zeigte, war das auch nicht verkehrt. Es gab in Burglengenfeld keine größeren Probleme, uns mit Grönemeyer, BAP, Lindenberg und den anderen zu verständigen. Die große All-Star-Szene am Ende unseres Gigs, als wir alle zusammen »Am dreißigsten Mai ist der Weltuntergang« grölten und ein Potpourri aus »Ficken, Bumsen, Blasen« und anderen Songs, war ein Ausdruck dafür.
    Wir hatten noch nie vor einer auch nur annähernd so großen Kulisse gespielt wie in Burglengenfeld. Du kamst auf die Bühne und blicktest auf ein Meer von Leuten, und dieses Meer hörte auch ganz weit hinten einfach nicht auf. Wir fünf da oben vor diesem Ozean aus Köpfen, das wäre als Comic ein Bild mit der fünffachen Blase »Schluck!« gewesen. Es war außerdem der erste reguläre Auftritt von Wölli. Er muß sich vorgekommen sein wie der Mittelstürmer aus der Landesliga, der von Borussia Dortmund gekauft wird und anstelle des verletzten Stammspielers plötzlich gegen Juventus in der Champions League kickt. Aber es war okay, es wurde ein gutes Konzert.
    Es gab natürlich ein ziemliches Gerangel, wer auf dem Festival als Letzter auf die Bühne darf. Alle wollten die Letzten sein - die, von denen auch die »Tagesthemen« noch ein paar Ausschnitte zeigen würden. Es war schon leicht pervers: Draußen auf dem Gelände zelteten Zigtausend, um gegen die nukleare Aufrüstung in Deutschland anzugehen, und irgendwo in einer Ecke debattierten zwei bis drei Dutzend Musiker, wer von ihnen in welcher Reihenfolge seinen Auftritt hat! Aber was geschieht schon aus hundertprozentig naturtrüber Selbstlosigkeit? Die Bands benutzten zu einem gewissen Teil die Demonstranten, und die Demonstranten umgekehrt die Bands für einen guten, langen Nachmittag mit Live-Musik. Sie brauchten keine Grönemeyers und Niedek-kens, die vor ihnen hermarschieren und die Fahne schwenken. Sie brauchten nur welche, die für sie singen. Und das kriegten sie.
    Wir wollten aber nicht mit dem Hubschrauber einschweben und genauso nach dem Gig verschwinden. Wir wollten da sein und sehen, was passiert. Also fuhren wir mit dem Tourbus aufs Gelände, oder sagen wir: wir versuchten es. Bei der Kontrolle an der Zufahrt wollten Bullen und Grenzschützer erstmal ein Dutzend Farbspraydosen konfiszieren, die bei uns im Wagen lagen (das Dope fanden sie nicht). Spraydosen wären das erste Glied in der schlimmen Kausalkette bis zum

    Relaxen vor dem Hosen-Hotel: Wackersdorf 1985
    Terroranschlag, hieß es: Erst werden die Parolen gesprüht, dann kommt der heimtückische Anschlag. Wir rangen der Obrigkeit schließlich das Grundrecht jedes Konsumenten ab, das zu verbrauchen, was er legal erworben hat - wir durften unser Zelt mit dem Lack besprühen, bis die Dosen leer waren. Wie das endete, soll Faust erzählen.
    »Es war ein gnadenloses Bild des Jammers. Zweieinhalb Stunden lang mühten sich diese Chaoten redlich, das Zelt zusammenzubasteln. Doch es wurde und wurde nichts. Schließlich bekamen sogar die Bullen Mitleid mit soviel Unfähigkeit. Ein oder zwei von denen halfen uns, dat Ding aufzustellen. Am Schluß durften wir auch die Spraydosen behalten und zu dem Einsatzleiter »Gerd« sagen, weil wir so oft beim Rein- und Rausfahren gefilzt wurden, daß man sich irgendwo kannte. Als wir einmal vergessen hatten, unser
    Dope vor der Einfahrt auf dat Gelände zu verstecken, schmissen wir ’s in letzter Sekunde noch aus dem Wagen. Am nächsten Morgen lag es immer noch da, trotz Schäferhunde

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