Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Kassette waren. Wir warfen alles in den Himmel, wo Olof Palme saß; für uns und unsere Crew blieb, was wieder runterfiel. Das war ein guter Schnitt für Faust und alle Freunde.
Beim Festival in Pilsen gesellte sich zum Chaos noch die unangenehme Dynamik der Polizeimacht, die jeden spontanen Ausdruck von irgendwas gleich im Ansatz erstickte. Schon an der Grenze zur DDR hatte man die meisten Hosen-Fans aus Dresden, Chemnitz und Leipzig wieder zurückgeschickt. Einige schafften es aber, sich bis in unsere Garderobe hinter diesem Amphitheater durchzutanken, wo wir mit ihnen fröhlich redeten und tranken. Dann aber ging plötzlich die Tür auf, und ein Sturmtrupp Uniformierter mit Gummiknüppeln schrie in Pidgin-Englisch, alle außer den Musikern hätten sofort den Backstage-Bereich zu verlassen.
Die Polizisten waren hypernervös geworden, als vorne auf der Bühne Steine gegen eine linientreue tschechische Band geworfen wurden.Jetzt stürzten sie sich knüppelnd und brüllend auf die DDR- Punks und zerrten sie ins Freie. Als Breiti sich mit Fausthieben dazwischen warf und man nun auch auf uns einschlug, war endgültig die zweite große Keilerei im Namen der Kriegsgegner im Gange. Es gipfelte darin, daß alle Bands mehr oder weniger durchgeklopft in den gemeinsamen Tourbus gestopft wurden, von wo aus wir dann hilflos mitansehen mußten, wie man die Fans aus der DDR in Militärfahrzeugen abtransportierte. Dann brausten sie mit uns schwer bewaffnet im Polizeikonvoi zur westdeutschen Grenze, um uns dort mit unserer Gerätschaft einfach auszukippen. Aber wir weigerten uns, zu Fuß hinüberzutrotten, und begannen die Sitze im Bus aufzuschlitzten - auch wenn die Haindling-Bubis moserten, durch uns würde alles nur »eskalieren« (was kann eigentlich noch »eskalieren«, wenn du geprügelt zurück zur Grenze geschleppt wirst?). Wir hätten den Bus sogar in Brand gesetzt, wenn wir damit über die Grenze gebracht worden wären, wie es ursprünglich hieß. So aber blieben wir noch zwei Stunden im Bus sitzen, bis die Militärs uns wenigstens ein Taxi besorgten, das fünfmal zwischen den Grenzen rochierte.
Das erste Dorf hinter der Grenze hatte einen Gasthof, in dem zu später Stunde die Wirtin und ein Anwalt hockten, und die wollten unsere Geschichte hören. Wir erzählten und tranken, tranken und erzählten, und auf einmal war es sieben Uhr morgens geworden und alle im Gasthof total breit. Der Anwalt wackelte selig aus der Stube, stieg in seinen Wagen und fuhr ins Gericht; die Wirtin weckte ihre Tochter, einen
Hosen-Fan, für die Schule und erklärte ihr mit starker Fahne, daß Mama noch bis eben mit ihrer Lieblingsband gesoffen hatte. So endete der Horror-Ausflug nach Tschechien mit einer unserer unerwartetsten und schönsten Begegnungen -das Leben kann ziemlich launisch sein.
Auf den großen Open-Air-Auftrieben der Sommersaison wurden wir dann dem wahren Reißtest aller Bands unterzogen: Wie gut kannst du wieviel unterschiedliche Gruppen von Festivalbesuchern dazu bringen, dir trotz Hitze und Durst und Currywurst und Kumpels und Mädels und Fummeln und Reden noch richtig zuzuhören? Genau darin wurden wir bald Herbstmeister. Unsere Soße aus Spaß und Punk paßte irgendwie auf die Zungen ganz unterschiedlicher Gestalten. Sie war nicht weltanschauungsexklusiv: Du konntest was von Sid Vicious und Jimmy Pursey und dem Geist von '76 mitbekommen haben und auf die Hosen einsteigen, aber es mußte nicht auf diese Weise sein.
Es gab keine Beschränkungen, keine Auflagen für irgend-wen, vor der Euphorie erstmal ein Punk-Diplom zu bestehen; du mußtest nichts über irgendwas wissen oder sein. Teenager und Motorradfahrer und Saufköppe und Vegetarier und Art-Direktoren waren gleichermaßen akzeptiert. Das traf den Kern der Sache vielleicht mehr als manche Pharisäer aus der Doc-Martens-Sekte glauben mochten. Und das machte uns zu einer echten Live-Band, was nach wie vor ein Gütesiegel in unserem Geschäft ist. Du kannst ein geiles Artwork haben, einen Medien-Hype starten und einen Hip-Status durch obszöne Zwischenfälle provozieren - wenn du dann auf der Bühne versagst, im Angesicht des Volkes, hilft das alles nichts. Wie sagt Otto Rehagel: »Entscheidend ist auf dem Platz.«
Wir schafften es '87, die Mitschnitte unserer Tournee »Ein bunter Abend für eine schwarze Republik« im Spätsommer zu veröffentlichen. Die Live-LPhieß »Bis zum bitteren Ende«: Wie sich herausstellen sollte, wurde es zu der Zeit das Live-Album mit den
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