Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
zweithöchsten Verkaufszahlen einer deutschen Band. Es war der Lohn dafür, daß wir uns den Arsch aufgerissen hatten in mittlerweile Hunderten von Konzerten, wo wir - mit Rückschlägen - immer besser geworden waren. Wir gaben noch immer keine herausragenden Solisten ab, aber das Ergebnis unserer gemeinsamen Bemühungen war mehr als die Summe der einzelnen Teile. Jeder von uns war für sich nichts Besonderes; aber zu fünft, innerhalb dieser Mannschaft, waren wir an guten Tagen schwer zu schlagen.
Dabei half, daß Campi als Sänger und Entertainer inzwischen mächtig zugelegt hatte. Mein dienstältester Kumpel, mit dem ich in Mettmann in der Schüler-B-Mannschaft Hok-key gespielt hatte, konnte mittlerweile dieses magnetische Feld zwischen uns und denen da vorne gut aufbauen. Und er setzte seine Turnstunden weiter fort, die schon zu Bommer-lunder-Zeiten manches rausreißen konnten. Den Salto vorwärts von der Bühne, zum Beispiel, und die Kletterpartien. Die ließ er sich auch nicht nehmen, wenn manche Veranstalter versuchten, ihm irgendwelche Auflagen zu machen.
Als wir im Sommer '87 zum ersten Mal beim berühmten Festival von Roskilde spielen durften - genauso wirst du dort nämlich behandelt, wenn du noch nicht in der europäischen Champions League bist -,gab es eine interne Anweisung, wie weit Campi auf der Lichttraverse hochklettern dürfte. Gerade drei Meter über dem Boden war das Limit. Aber Punkrock geht natürlich anders: Campi kletterte höher, immer höher. Er hangelte sich so weit hinauf, daß der dänische Roadie aufgab, der fluchend hinter ihm hergeklettert war, immer haarscharf an den glühend heißen Spotlampen vorbei. Dann sprang er auf die Zweittraverse und brachte den ganzen Lichterkranz unterm Kuppelzelt ins Wanken. Es war Note 9,9 -mindestens. Aber die Veranstalter fanden, es wäre eine 4,5. Das war jedenfalls der Betrag, den die Dänen von uns für den entstandenen Schaden verlangten - viereinhalb Riesen. Faust montierte dann die angeblich kaputten Teile ab, verkaufte sie und bezahlte den Schaden davon.
Bei unserer Abfahrt aus Roskilde sollten wir uns am nächsten Morgen ebenso wieder freikaufen müssen. Nachdem wir in der Nacht einige Hoteltüren eingetreten hatten, um Tourleiter Jäckie zu finden, und Bollock einen Fernseher durch das offene Zimmerfenster hindurch entsorgte, parkten uns am nächsten Morgen Polizeiwagen zu, damit wir vor der Heimreise den Schaden bezahlten. Wir verdanken es einmal mehr Trinis sauerländischem Verhandlungsgeschick und seiner Behauptung, er sei Schreiner und könne den Schaden schätzen, daß der fällige Betrag gehörig gedrückt werden konnte.
Die einzige Hose, die in Roskilde abstürzte, war Wölli.
Wölli hatte sich besoffen über einen Absperrzaun gehangelt, um denen von Europe in die Boxen zu pissen. Europe machten eine so grausame Musik, daß sie es verdient hätten. Aber Wölli rutschte irgendwie ab und brach sich bei der Landung den Fuß. Wir mußten dann jemand anders für ihn einwechseln, denn ein Drummer mit einem gebrochenen Fuß ist auf der Bühne nicht viel mehr wert als eine Stehlampe -und es standen noch einige fixe Termine an. Es wurde die kurze Epoche von Jakob Keusen, dem Profi, der sich unser gesamtes Programm über Nacht eintrainierte.
Nur Campi kam eigentlich immer davon, egal wie gefährlich er irgendwo turnte. Er zog sich Brandwunden und Quetschungen zu und auch mal eine heftig blutende Platzwunde am Kinn, weil die Kids im Jugendzentrum in Aurich bei seinem Flug in die Menge alle zurückwichen, statt ihn aufzufangen, aber er zog immer voll durch. Sie haben ihn fast zerquetscht, als er in der Berliner Deutschlandhalle in die Massen vor der Bühne fiel; und vor den Gigs im Vorprogramm der Stones wurde er gewarnt: Bitte nicht auf das fünfzig Meter hohe Bühnengestänge, das über die Rampe hinausreicht -und genau da ging Campi rauf.
Ich habe noch das Gesicht dieses Roadies von U2 vor mir, der unseren Sänger bei einem unserer Support-Gigs am Bein packte, um ihn vom Klettern abzubringen. Campi rotzte ihn an, gab ihm einen Tritt und war im nächsten Moment schon wieder irgendwo da oben. Das Mißverständnis bezüglich seiner Kletterei bestand darin, es für eine bloße Nummer zu halten. Man wollte das unter Profis regeln, wie es mit so vielen Nummern in dem Geschäft geschieht. Doch es ist eben nicht nur eine Nummer. Er macht das nicht ausschließlich für’s
»Dat sind die Sänger«: Campino auf Klettertour in Amsterdam
Publikum,
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