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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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zu löhnen brauchte. Dabei fragte er, ob ich nicht den Fahrer machen könnte (Tour-Management kam später). Heute gibt es neben meiner Freundin niemanden, der mehr über mich weiß als die Band.
    Man hält an den alten Kumpels fest und lernt wenig neue Leute kennen, wenn man einmal dreißig und drüber ist. Das ist auch bei den Hosen so, und das könnte mal gefährlich werden, wenn der Kontakt zur Basis abreißt. Breiti sagt manchmal: »Ihr müßt uns sagen, wenn was zu stinken anfängt.« Daraufkomme ich mal zurück, wenn es soweit ist. Im Augenblick aber halten sich Humor und Ernsthaftigkeit noch die Waage. Die Pornos werden inzwischen gekauft, nicht mehr geklaut, und wer das schon »bürgerlich« findet, soll das meinetwegen tun.
    Zehnjahre gebe ich denen noch, wenn sie in der Formation zusammenbleiben. Dann stelle ich sie halbtags in meiner Konzertagentur an und drehe mit ihnen einen Lehrfilm für weiterführende Schulen, über die Spätfolgen der Nachtarbeit.«
    Wir hatten für unsere Verhältnisse eine riesige Tour gespielt, aber dasjahr 1989 war noch immer nicht um. Was lag näher, als es noch ein paar Mal auf der großen Live-Schanze auszuprobieren? Die Einladung einer französischen Band, Berurier Noir, brachte uns am 9. November ins »Olympia« nach Paris. Ich weiß es so genau, weil wir an diesem eher mittelmäßigen Abend etwas Wichtiges verpaßten. Stell dir vor: Du bröselst im Quartier Latin am nächsten Morgen so ein blödes Croissant auseinander und liest mit deinen Franzö-sisch-Brocken irgendwas von der Mauer in Berlin in den Zeitungen, dick und fett auf allen Titelseiten.
    Ein paar Telefonate nach Deutschland setzten uns dann schnell ins Bild. Unser erster Gedanke war diesmal genau der richtige: Wenn die Mauer gefallen ist, müssen wir sofort nach Berlin! Wir wollten nicht »Hurra« schreien, wir wollten es einfach sehen - die Mauer gefallen, das war so ungeheuerlich, als wären Marsmenschen auf dem Brandenburger Tor gelandet. Nur Kuddel paßte die Wiedervereinigung eigentlich nicht, jedenfalls nicht jetzt: Er wollte lieber zu seiner Susi, die gerade Geburtstag hatte.
    Noch in Frankreich machten wir unsere Teilnahme an einem großen Festival mit Paul Young und Joe Cocker klar, das zwei Tage später in der Deutschlandhalle stieg. Es war eine einzige große Party, die in Berlin tobte, wie Chaos-Tage für die ganze Familie. Selbst die Politiker, die natürlich sofort auf der Welle der Emotionen surften, konnten das Hochgefühl nicht vermasseln. Es war Momper, der zwischen den verschiedenen Bands des Festivals immer wieder die Ansage machte, welcher Grenzübergang gerade geöffnet wurde - ganz so, als hätte er die Mauer mit seinem Heimwerkerbohrer persönlich gelöchert. Immer wenn du dachtest, jetzt ist das nicht mehr zu steigern, legte eine neue Nachricht, eine neue Euphorie noch ein Brikett drauf.
    Ich dachte an unsere Ostberliner Fans, die '82 mit uns in dieser Kirche standen, und von denen uns '83 einige bis nach Budapest nachgefahren waren. Damals durfte ich an der Friedrichstraße wieder raus, und sie blieben drin. So einfach war das, so scheiße. Jetzt tobte da ein Pogo, auf den konnten die Politniks nur noch hilflos reagieren. Es war schon klar, daß bald massive Probleme beginnen würden. Aber in diesen Tagen hatten die Leute einfach ein Recht darauf, euphorisch und besoffen und völlig optimistisch zu sein.
    Wir verließen die Party und kehrten ein paar Wochen später zurück, um in Berlin noch zwei denkwürdige Gigs hinterherzuschieben. Zuerst spielten wir im Frauenknast am Plötzensee, dann bei den männlichen Insassen der Justizvollzugsanstalt Tegel. Es waren unsere ersten Auftritte hinter Gittern, und es war das, was man so gerne eine »echte Erfahrung« nennt.
    Wer im Gefängnis spielt, hat fast immer einen Punktevor-sprung - die Leute vor einem sind eigentlich schon froh, daß überhaupt mal etwas abgeht in ihrem kleinen Karton. Für uns waren die Szenen danach aber viel wichtiger. Wir konnten mit den Frauen reden, die meist »BTMs« (Delikte gegen das Betäubungsmittelgesetz) oder Abschiebe-Häftlinge waren. Und wir konnten mit einigen der Männer reden, die in Tegel einsaßen.
    Eine harte Umgebung, in die man da mal eben einsteigt. Aber es hat einen ganz bestimmten, nicht genau zu erklärenden Wert. Plötzlich sitzt du da mit einem Mörder und seinem Kumpel und schlürfst den Schnaps, den sich diejungs an den Heizungsrohren gebrannt haben, irgendwie. Die fangen an zu erzählen, und

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