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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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wie jetzt, als ich meine Karre für die Fahrt ins Studio suche, kommen mir auf fünf Metern eventuell sechs völlig verschiedene Gestalten entgegen. Hausfrauen mit Plastiktüten und echten Kindern am Handgelenk, Rent-nerinnen mit kleinen Hunden, die hinter die Laterne kacken, Studenten, Türken, Griechen, versprengte Autonome. Es gibt einen unabhängigen Plattenladen um die Ecke und den griechischen Grill, die »Flurschänke« und einen Aldi-Markt, vor dem sich ein paar Typen jeden Morgen um halb neun bereits den ersten Flachmann an den Hals setzen. Es gibt die Stadtbücherei und den Tschibo-Laden, und es gibt diese merkwürdigen Partnerlook-Pärchen im Trainingsanzug, die hier samstagvormittags mit Otto-Mess-Tüten zwischen den Beinen herumstehen und rauchen. Es gibt hier fast alles, was

    »Nicht besonders gut, aber immer so schnell wie möglich«: Breiti bei der Arbeit
    man im feinen Oberkassel oder im Fernsehen kaum noch findet.
    Andi wohnt gleich nebenan, die Frau vom Weingeschäft genau gegenüber. Wenn da Party ist, kann ich es durch die Fenster sehen; das spart die Einladung. Und wenn etwas mit meiner Karre ist, gehe ich zu Micky. Micky repariert Autos, wochenlang. Er hat keine Werkstatt und vermutlich auch keinen Meisterbrief, aber er hat Ahnung - und er bringt die Kiste in Ordnung, irgendwann. Das Wichtigere ist sowieso, daß man bei ihm steht und redet. Micky hat Autos nach Syrien überführt und kennt einen Scheich aus Saudi Arabien, den er Trini schon lange mal vorstellen will. Aber irgendwas kommt immer im letzten Moment dazwischen. Die Geschichten vom Scheich sind aber gut, ob sie nun stimmen oder nicht, und so ist es auch mit Micky. Man kann den ganzen Tag lang
    Blödsinn erzählen und doch ein guter Kerl sein, kein Problem.
    Es gibt immer einen Micky oder Siggi oder Ralle in den Vierteln, wo man es aushalten kann, und es gibt auch eine bestimmte Art, sich gegenseitig zu ertragen. Als ich mit zwanzig auf die Bruchstraße zog, Andi gegenüber, gab es da einen Typ, der ab und zu nachts um drei plötzlich seine Anlage voll aufdrehte. Niemand dort hat deswegen einen Aufstand gemacht. Wenn einer ein Problem mit irgendwas hatte, sagte er es irgendwann, aber er rief nicht nach der Polizei.
    Das einzige Mal, wo ich da einen grün-weißen Wagen gesehen habe, klingelten sie bei Andi. Das war aber, weil sie was über seinen Vormieter wissen wollten, den sie gerade wegen einem der dämlichsten Banküberfälle seit den Daltons festgesetzt hatten. Echte Bruchstraßen-Story: Der Kerl ruft einen Nachbarn an, gleich würde er ihm seine Schulden zurückzahlen, geht mit einer Knarre in eine Bank in Mönchengladbach, packt sich die Achtzehntausend ins eigene Auto, mit Original-Nummernschild, und fährt damit auf kürzestem Weg nach Hause. Sie haben ihn schon gekascht, als er sich dort gerade einen Parkplatz suchte. Zwei Nachbarn haben die Stelle noch nach Drogen abgesucht, weil sie ihn für einen Dealer hielten. Er war aber nur ein ganz gewöhnlicher Trottel.
    Ich kann nicht behaupten, daß wir unsere Musik für solche Leute machen, das wäre völliger Quatsch. Aber für bestimmte Ideen ist es sicher kein Nachteil, hier zu wohnen. Wir saßen mal vor unserem alten Proberaum an der Fichtenstraße, als diese Jungs mit dem Manta an uns vorbei bretterten. Lauter Mickys und Siggis und Ralles, alle in dieser aufgemotzten Karre, die Schrott war, genau wie unsere. Das war in dem Moment einfach ein gutes Bild, und aus dem Bild entstand ein Song, »Opel Gang«. Es ging darin um eine bestimmte Art, mit seinem Auto umzugehen, weniger um die Marke. Nicht perfekt, aber immer volle Pulle voraus und im eigenen Stil - davon konnte man für die nächsten zwölfjahre mit einer Band durchaus was übernehmen.
    Die Doppel-lp war eingespielt, aber noch nicht erschienen; die Tage und Nächte im Studio hatten allen schwer zugesetzt. Es war der erste gesamtdeutsche Frühling, April 1990, als wir den nächsten gemeinsamen Bandurlaub beschlossen. Zu den Gitarren packten wir diesmal die Fahrräder in den Bus, und ab ging es durch den wilden Osten. Tagsüber wollten wir die neue Welt zwischen Gera und Usedom durchkämmen, am Abend einkehren und hier und da musizieren. Tatsächlich kam es dann aber so, daß alle beim ersten Regentropfen in den Bus flüchteten oder sich auflesen ließen, wie die Rohrkrepierer bei den Radprofis vom »Besenwagen«. Es war einfach nicht zu vertuschen, daß wir körperlich ausgebrannt waren.
    Spontan-Gigs in kleinen Clubs

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