Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
du erzählst auch was, und auf einmal bist du mitten in einem sehr guten Gespräch. Warum und wie und über was - ich kann es mit Worten nicht erklären.
Schon davor hatten wir den »Kreuzzug ins Glück« gestartet. Wir waren mit einem Dutzend Songs und einem Haufen loser Schnipsel, aber ohne großes Selbstbewußtsein, in die Düsseldorfer »Klangwerkstatt« gezogen, um unsere erste reguläre Platte seit langem einzuspielen. Es sind ja immer die gleichen Zweifel, die einen dann antreiben, und ihr Kern lautet: Haben wir es noch drauf, wenigstens für zehn, zwölf weitere Songs?
Bald sagte das fertige Material zu uns: »Ich bin zwei Platten!«, und wir feilten weiter. Inzwischen hatten wir keine
Zeitnot mehr, niemand mußte für zwei weitere Studiotage Plakate kleben gehen. Uns fehlte also, was der klassische Pop-Soziologe den »echten Hunger« nennt, den eigentlich sowieso nur »Die aus dem Ghetto« haben. Aber darauf konnten wir gut verzichten, solange wir dafür ohne übertriebene Hektik unser Zeug einspielen konnten. Es gab keinen Druck von der Plattenfirma, die Produktionskosten gingen auf unseren Deckel. Als wir fertig waren, hatten wir ein Patchwork aus Songs und passenden Zwischenstücken zusammen.
Nicht zuletzt war die »Willi-Trilogie«, die wir mit Gerhard Polt aufnahmen, ein gescheites Intermezzo. Es gab schon länger einen guten Draht zu Polt, der auf unseren Auftritt beim WAA-Festival ’86 zurückging (in Burglengenfeld hatten ja auch die Biermösl Blosn gespielt, mit denen Polt eng zusammenarbeitete). Mit der Idee zu »Willi« kam die Gelegenheit, sich zusammen zu tun. Campi fuhr nach Miesbach und zerrte den guten Gerhard ins Tonstudio von Hanns Christian Müller, Polts Co-Autor und mittlerweile unser Ratgeber und Freund. Dann wurde das »Kurzdrama in drei Akten« mit viel Vergnügen eingespielt.
Aber durften wir das eigentlich - Kooperationen mit richtigen Künstlern, Statements zur Politik? Mit den Erfolgen der letzten Jahre war inzwischen auch eine Gegen-Revolution in Sachen Hosen entstanden - ein Protestmarsch aus Enttäuschung darüber, daß wir in den Augen einiger keine richtige Bürgerschreckband mehr waren. Daß wir uns scheißkonstruktive Bemerkungen herausnahmen oder Samstag abends im Familienfernsehen auftraten. Und an der Spitze dieser Pseudo-Fundamentalisten schritt ausgerechnet das bürgerliche Feuilleton.
Es waren die Abschmecker der FAZ, die herausfanden, daß nicht mehr genug Zerstörung und Auflehnung und Verweigerung, also nicht mehr genug Punk in der Suppe war. Wo blieben die wilden Kids und der Hunger und die brennenden Mülltonnen, wenn jetzt auch die Hosen nur noch aus Marktkalkül provozierten ? Wer rettete für die fest angestellten Kulturredakteure den deutschen Underground?
»Der Begriff Punk ist schlicht Etikettenschwindel«, klagte die FAZ anläßlich der Veröffentlichung unserer Doppel-LP. »Die Band macht eigentlich Pop-Rock, gelegentlich im Tempo der schnelleren Variante Heavy Metal, darüber hinaus huldigt sie munter dem modischen Stilzitat von Reggae bis Rap.« Das galt im Juli '90. Zwei Monate später, im September, enthüllte dann ein weiterer FAZ-Artikel, daß die Hosen ihrer Musik »im wesentlichen seit ihrer Gründung 1982 treu geblieben« waren. »Drei Akkorde, monotoner Draufhau-Beat und ein Chorgesang, der verdächtig nach Kasernenhof klingt, sind noch immer ihre Markenzeichen.«
Wie fertig waren wir eigentlich, wenn man uns nun schon im Frühstücksblatt der Nadelstreifenhörnchen zu konservativ und zu militant fand? Immer noch die gleiche alte, stumpfe Punkmusik, von der sie aber leider längst abgegangen sind - vielleicht hatte ich ja auch schon zuviel Kleister im Schädel, um so schwierige Zeitungen zu verstehen.
Die mit dem Sarg sind da
Die Polizeistreife fuhr gleich am frühen Morgen vor der Ferienwohnung am Timmendorfer Strand vor. Sie ließ den Tatverdächtigen keine Zeit mehr, Spuren zu verwischen. Die Verdächtigen: fünf Musiker und mehrere Begleiter, alle sehr nachlässig gekleidet; Milieu-Zuordnung »Punker«. Die Tat: illegale Abtreibung. Vermutlicher Fundort der Überreste: mitgeführter Kindersarg auf rotem BMW (Kennzeichen überprüfen!). Vorgehen: Hinweis überprüfen,Tatverdächtige gegebenenfalls festsetzen.
So stehen sie bald gemeinsam vor dem knallroten BMW, die Uniformierten und die Musiker, und werden zusammen Zeuge, wie einer der Jugendlichen die schwere Kette öffnet, mit der der Sarg auf dem Auto befestigt ist. Die Kette
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