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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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gerne mal einer Vorband ihren Auftritt versaut. Niemand sagte, wir dürften nicht über die volle Anlage spielen. Kein Mensch verwehrte uns die Zeit zum Soundcheck. Selbst die Video-Leinwand konnten wir benutzen. Es gibt nichts Schlechtes über die Rolling Stones zu sagen - es gab sie nur einfach nicht. Wenn das also ein besonderer Tag gewesen sein soll, dann höchstens für das Stadion.
    Endlich war diese Aufbahrungsstätte für scheintote Profikicker mal randvoll gefüllt mit Leuten. Sie kamen zwar nicht, um die Untoten des i. FC Köln zu erleben, sondern die Stones - aber zur Strafe dafür mußten sie vorher eine Düsseldorfer Band ertragen.
    Fußballstadien wurden in diesem Jahr unsere Wohnzimmer. Im Rheinstadion litten wir mit der Fortuna, die sich immer zwischen Platz 13 und 18 in der Bundesliga herumdrückte, wenn sie nicht gerade Fahrstuhl fuhr - das rechte Bein von Baffoe, das wir gespendet hatten, wurde auch schon deutlich langsamer. Aber für wen litten wir eigentlich während der Fußball-WM in Italien? Wir hatten an Trinis abgeschleiftem Mercedes den Taz-Aufkleber angebracht, weil wir für die alternative Tageszeitung eine WM-Kolumne verfassen sollten, und bretterten damit zwischen Bari und Bologna kreuz und quer über die Autostrada. Immer volle Pulle, immer linke Spur - rechts blieb so mancher Taz-Abonnent auf Toscana-Kultururlaub mit seinem Vernünftigkeits-Panda offenen Mundes zurück. Die Diskussion um das unterstützungswürdigste Team ließ die Band aber fast auseinanderfallen.
    Campi favorisierte wie immer das englische Team, Andi und ich hielten es eher mit Brasilien und Kamerun,Trini ging wieder eigene Wege und setzte zwischenzeitlich mal auf Costa Rica. Für die deutschen Rasenkraftsportler um Lothar Matthäus rührte sich dagegen kein Herz; Wölli und Kuddel, unsere beiden Zwangsdelegierten, hielten sich, wie vorauszusehen war, weitgehend raus. Mit diesem komplizierten Sozialgefüge mieteten wir uns für vier Wochen in der Pension Concordia am Gardasee ein, unserem Hauptquartier, und schwärmten von dort fast täglich sternförmig in alle Windrichtungen und WM-Stadien aus. Was wir dabei erlebten, wurde in Deutschland täglich in den »Leibesübungen« der Taz aktenkundig.
    »Rätselfrage: Was trägt unten schwarzes Turnhöschen, in der Mitte schwarz-rot-gold-gestreiftes Hemd, ist leicht übergewichtig und hat im Gesicht einen Oberlippenbart?
    Auflösung: 40.000 deutsche ADAC-Mitglieder im Meazza-Stadion zu Mailand. Verzweifelt und chancenlos suchen sie den richtigen Klatschrhythmus, während sie mit brünftigem »Sieg-Sieg«-Geheul »unser geniales Team« anfeuern und ihre Impotenz überspielen. Sie bezeichnen ihre Gegner als »Kakteenpflanzer«, »Kameltreiber« und »Scheiß-Kommunisten« und wundern sich immer noch unsäglich darüber, daß hier sämtliche Schilder und Wegweiser in Italienisch und nicht in Deutsch darüber Auskunft geben, wo es zur Toilette und wo es zum Bierstand geht. Das sind die Fans, auf die Lothar Matthäus so stolz ist.
    Daß es auch anders geht, kann man hier alle Nase lang sehen. Beispielsweise die Party beim Schottland-Brasilien-Spiel. Wer hier nun ein Schotte war und wer ein Südamerikaner, das war oft schwer festzustellen, da jeder mit jedem Bekleidung und Souvenirs tauschte, um sich sogleich in die Arme zu fallen.
    Brasilianerinnen bringen umherspringenden Briten in ihren Kilts Lambada bei, und nach einem Platzregen liegen alle in einer riesigen Wasserpfütze, spritzen sich gegenseitig voll, bauen Staudämme oder nutzen einfach mal die Gelegenheit, sich zu waschen. Um solcher Szenen willen sind wir nach Italien gereist...« (Kolumne vom 22. 6. 90).
    Liest sich doch ganz lustig, oder? Aber es war hart, jeden Vormittag mit fünf Grappaschädeln wenigstens fünfzig brauchbare Kurzzeilen zusammenzutragen, richtige Arbeit war das. Zum ersten Mal bekamen wir die ganze Erbarmungslosigkeit einer Schreiberexistenz zu spüren. Und auch das Turnier war wie die restliche Welt: Die den Spaß verbreiten (Brasilien, Kamerun) sind im Viertelfinale draußen, und die Humorlosen lachen am Schluß - feist und unerotisch. Aber Andis Autocrash vor dem Stadio Bentegodi in Verona, komplett mit Massenpalaver wie aus einer ARAG-Werbung, die Hotelzimmerzerstörung im Rechnungswert von 215.000 Lire, das Fußballspiel gegen die Angestellten-Elf der Pension Concordia (9:2 für uns) und nicht zuletzt die Tochter von Klaus Fischer - das alles und mehr war es wert gewesen. Die Welt war

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