Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
daß wir trotz aller Probleme, die wir damals hatten, zusammenblieben. Wir hockten bei unserem Lieblings-Italiener, kletterten später für ein Wettschwimmen über den Zaun des Freibads, bis die Polizei uns rausschmiß, und landeten schließlich auf dem Fortuna-Trainingsplatz am Flin-ger Broich, wo wir über die Köpfe einer Abwehrmauer aus Pappe hinweg auf’s Tor bolzten. Gezirkelte Freistöße, die irgendwo in der nächtlichen Dunkelheit verschwanden. Natürlich waren wir auch diesmal nicht nüchtern, aber entscheidend war das Erlebnis, daß wir noch Spaß miteinander kriegen konnten.
Es folgte die große Aussprache im Ferienhaus am Baldeneysee, von der Campi erzählt hat, aber damit war die Krise noch nicht überwunden. Zum zweiten Mal in unserer Geschichte, ausgerechnet auf dem Höhepunkt, hatten wir plötzlich nicht mehr den leisesten Schimmer, in welcher Richtung es weitergehen sollte. Ein Grund dafür waren sicher die Drogen. Ab einer bestimmten Menge ist das Zeug nicht mehr die Begleitung, sondern das Hauptthema. Es wird wichtiger als die Musik - und wenn das passiert, wirst du asozial. Es kümmert dich nicht mehr, daß dein Beitrag in der Band immer dürftiger wird; du willst nur noch deine Kohle und denkst an das Zeug, das du dir damit besorgen kannst. Wir waren eine der bekanntesten, erfolgreichsten deutschen Bands geworden, und plötzlich hatten einige von uns Schulden! Mir war zu Hause beigebracht worden, daß null die kleinste Zahl ist, ich habe nie im Leben ein Konto überzogen. Das machte mich zum Kassenwart der Hosen, und das machte mich zusammen mit Andi damals manchmal auch zum Finanzberater. Für Kuddel zum Beispiel, der auch noch dauernd um Geld spielte, stellten wir richtige Entschuldungspläne auf. Der Junge steckte wirklich tief in der Tinte.
Auch nach dem »Frieden von Flingern«, geschlossen in Trinis Garten, wurden wir nicht schlagartig Kefir-Mönche. Was bisher offen konsumiert wurde, geschah jetzt heimlich. Bei den Proben fiel dir dann auf, daß einige plötzlich so oft auf die Toilette rannten und längere Zeit brauchten, von da wieder zurück zu sein. Oder du stolpertest über halbversteckte Tequila-Flaschen, die in konzentrischen Kreisen um das Schlagzeug herum deponiert waren. Und das war das zweite Problem: Wir waren nicht mehr ehrlich zueinander. Jeder pflegte seinen eigenen Wahn, bewohnte einen ganzen Planeten für sich selbst. Wenn man jemandem eine neue Melodie vorspielte, fühlte der sich eher belästigt. Oder er wurde aggressiv, weil er selbst eine Idee hatte und damit bei keinem anderen landen konnte. »Fick dich!«, »Leck mich!«, »Hau doch ab!« - es hörte sich völlig asozial an, und es sah aus wie das nahe Ende einer sehr guten und sehr dummen Band.
»Go back to Square One«, heißt eine englische Redensart für die mögliche Rückbesinnung, wenn die Dinge im Leben festgebacken oder völlig durcheinander sind. Das bedeutet soviel wie: Geh zurück bis auf »Start«, zum Ausgangspunkt. Wer so vorgeht, heißt es, findet früher oder später den Grund wieder, aus dem heraus er aufgebrochen ist. Den Grund, warum er anfing, dies oder das zu tun.
Als Campino mir die ersten Kassetten mit Musik von den Lurkers, Chelsea, Boys u.a. aufnahm, stellte ich mir beim Hören oft vor, ich stünde mit denen zusammen auf der Bühne. Jetzt, im Herbst 1990, tourten wir mit einigen davon, und sie bestritten das Vorprogramm. Peter and the Test Tube Babies, UK Subs, The Lurkers - nicht eine von diesen Bands hatte drüben in England auch nur annähernd die Aufmerksamkeit und den Erfolg, den wir, ihre deutschen Epigonen, inzwischen hatten. Aber sie schissen drauf und waren unterwegs in allen Lebenslagen nicht weniger positiv als wir; eher mehr. Das war der wahre Geist dieser Musik, das war »Square One«.
Mitten im Winter unternahmen wir einen Betriebsausflug nach London, um ein paar alte Freunde zu treffen - Arturo Bassick von den Lurkers, Honest John Plain von den Boys. Wir wollten ursprünglich nur ein paar Hände schütteln und ein paar Pints heben - und eventuell in Fulham noch ein paar Kugeln im »Golden Dragon« versenken, bei den Stadtmeisterschaften im Pool Billard. Dann wurden es aber ein paar Pints und ein paar Punkrock-Legenden mehr, gleich am ersten Abend, und nicht lange danach entstand die Idee, uns mit den Helden der Vergangenheit aus unserer gegenwärtigen Sackgasse herauszubeamen: Warum nicht als nächstes eine Platte machen, in der wir gemeinsam mit diesen Leuten ihre
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