Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
schlecht, das Leben schön. Forza Italia, Forza Flingern!
Ich wollte Fussballprofi werden, nicht Rockmusiker, als ich in die Untertertia kam. Aber es war nicht der erste und einzige Selbstversuch in der Welt der verschwitzten Ekstasen. Ich hatte mich vorher im Judo versucht, in Basketball und in Leichtathletik, immer zwei Jahre in irgendeinem Verein. Dann kam Fußball und damit der Versuch, es wie Heiner Bal-tes hinzukriegen, der eisenharte Manndecker bei der Fortuna. Ich wollte nie Netzer werden oder Overath oder Cruyff oder sonst eines dieser Fußballgenies, von denen es samstags im Radio immer hieß: »Er streichelt den Ball.« Ich wollte mich wie Baltes hinten reinstellen und dann voll draufhalten - keine Gefangenen! Jeden Nachmittag Turnier auf dem Bolzplatz vom Humboldt-Gymnasium, gegen den fünf Jahre älteren Bruder und seine Freunde - da entsteht der wahre Kampfgeist.
Aber dann wurde die Entzündung in der Achillessehne chronisch. Ich hockte jeden Tag mißmutig zuhause rum, bis meine Eltern mir eines Tages eine Gitarre schenkten; irgendeine Klampfe für dreihundertdreißig Mark. Gitarrespielen interessierte mich, seit ich vor ein, zwei Jahren begonnen hatte, Ulrich Kleemann auf den Wecker zu gehen. Ulrich war fünfjahre älter als ich, hatte schon eine eigene Wohnung und spielte in einer Rockband, die objektiv betrachtet vermutlich völlig daneben war. Aber ich sah nur diese Stratocaster und den Vox-Röhrenverstärker und nervte den Kerl, bis er mir ein paar Griffe zeigte.Und mit der kaputten Sehne und meinen eigenen sechs Saiten legte ich jetzt richtig los.Jeden Tag.
Auch ich hatte das Buch von Peter Bursch, natürlich, und ein Plektrum hart wie Heiner Baltes - und den Blues, dachte ich, hätte ich sowieso. Ich schloß die Klampfe am Kofferradio an, ein kleiner Verzerrer war vorgeschaltet, und probierte ein paar von den Sachen, die mir bei B. B. King und Eddie Taylor gefielen. Das war eine überschaubare Angelegenheit mit diesen ewig-gleichen drei Akkorden, aber bei mir klang es nicht toll. Es war in Ordnung, es war nicht zu schwierig, aber es war einfach nicht mein Film. Vor meiner Tür war nicht New Orleans oder St. Louis, sondern Düsseldorf-Derendorf. Mein Vater war auch kein Baumwollpflücker, den weiße Herren gequält hatten; er war Betriebsleiter bei einer Firma für Teppichreinigung und quälte sich selbst, als er sich eines Tages selbständig machte und kurz darauf einen Herzinfarkt erlitt. Monatelang dirigierte er seine Familie und ein paar Freunde aus dem Krankenhaus heraus, um seine Firma zu retten; auf die Art überlebte sie, genau wie sein Herz, noch sieben Jahre.
Dann kam ein Kerl in meine Klasse, der sitzengeblieben war, eine wilde Mischung aus Clown, Kumpel und Schläger. Seit einer Schlacht mit Bonbons hieß er bei allen nur noch »Campino«. Campino brachte den Punkrock aus England - in Form von Platten - ohne Umwege in die achte Klasse des Humboldt-Gymnasiums. Die meisten fanden diese Platten zum Kotzen, ich und ein paar andere nicht. Da waren wieder drei Akkorde und es war wieder nicht besonders schwierig, nur paßte es diesmal auch von der Art her zu meiner Vorstellung von Ekstase. Ich blieb dran und übte, und als ich achtzehn war, rief Campi irgendwann an und erzählte was von einer neuen Band und einem Proberaum. Nicht nur, weil Campi mein Freund war, ging ich hin.
Drei, vier Jahre später, als die Band schon in Schwung gekommen war, spürte ich auch meine Achillessehne nicht mehr, wenn ich sonntags auf den Rheinwiesen bolzte. Zu spät: Gemeinsam mit Trini spielte ich noch ein paarJahre für die dritte Mannschaft von Alemannia 08, aber das war dritte Kreisklasse, ganz unten im organisierten Fußball.
Während also dieser Aufzug im Keller feststeckte, fuhr ein anderer gerade ziemlich weit nach oben.
Die grosse Tour nach der Doppel-LP und der Fußball-WM wurde unser Eintritt in die Champions League. Von Emmendingen bis Kiel und wieder runter nach Zürich spielten wir nur die großen Festivals und die größten Hallen. Schleyerhalle Stuttgart, Westfalenhalle I in Dortmund - überall sah es aus wie am Morgen des ersten Sommerschlußverkaufstages vor Horten. Leute, massenhaft Leute. Acht Jahre nach unserem ersten Gig als »Die toten Hasen« in Bremen mußten wir uns eingestehen, in der Tabelle ganz oben angelangt zu sein. »Kreuzzug ins Glück« bis auf Platz 1 in den LP-Charts geklettert, mit den Rolling Stones in Köln gespielt und jetzt die Mega-Hallen ausverkauft - das war
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