Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
besten Songs einspielten?
Wir wollten eine akustische Ausstellung aufziehen, mit all den fast vergessenen Künstlern, die wir zum eigenen Ruhm beklaut hatten, und uns würde dabei vielleicht wieder einfallen, warum wir selber mit der Musik begonnen hatten. Wer diese Platte dann eines Tages kaufen sollte und wer nicht -das konnte uns erstmal völlig egal sein, Virgin hin, Erfolgsdruck her.
Es wurde für uns ein sehr wichtiges Album - »Learning English, Lesson i«. Bis es aber dazu kam, war viel Detektivarbeit zu leisten, denn in England schien niemand mehr Adressen oder Telefonnummern von den alten Punkrockern zu haben. Einige von ihnen, wie Captain Sensible und Billy Idol, hatten sich als Popstars nach oben durchgeschlagen, aber die meisten waren keine Gewinner geworden im großen Pop-Biz-Spiel. Im Grunde hatten sie die größeren Hits fabriziert, größer als alles was The Clash oder die Pistols je ablieferten. Aber irgendwie hatten sie die schwarze »8« zu früh versenkt oder einfach am falschen Tisch geglänzt. Ohne Arturo und seine Zettelsammlung würden wir vermutlich noch heute nach ihnen fahnden.
Arturo trieb Nick Cash von 999 auf und noch ein paar andere, und die anderen hatten auch noch ein paar Zettel oder Bierdeckel mit Telefonnummern, und so weiter. Einige riefen auch von sich aus bei irgendwem an, weil sie etwas von dem Projekt gehört hatten. Martin Rockefella von The Rockefellas trafen wir zufällig auf der Tribüne eines Greyhound-Stadions. Es gab sie also alle noch, alive ’n’ kickin’. Keiner hatte viel mehr ansammeln können als gute Erinnerungen und ein paar Lük-ken im Gebiß. Aber wenn sie dann mit uns im Studio standen oder in ihrem Pub, gingen sie voll zur Sache und grinsten fast ununterbrochen. Wenn sie mal nicht grinsten, dann war es, weil sie gerade laut und dreckig lachten.
Learning English: Im Pub mit Arturo Bassick (Lurkers), Knox (Vibrators), Nick Cash (999), Charlie Harper (U. K. Subs) und John Plain (The Boys)
Matt Dangerfield von den Boys hatte mit Radioprogrammen überlebt, die er für einen norwegischen Sender zusammenstellte. Sein Kumpel John Plain pumpte sich jahrelang hier zwanzig Pfund, um dort dreißig zurückzuzahlen; von der Differenz ging er regelmäßig einen trinken. Nick Cash von 999 hatte viele Gelegenheitsjobs hinter sich, als wir ihn trafen; zur Zeit arbeitete er als Friedhofsgärtner. Und Arturo? Der alte Lurker lag mit dem ehemaligen Bandbus auf der Lauer, um damit Umzüge fahren zu können. Aber sie hatten nie aufgehört, an ihre Sache zu glauben; keiner hätte aus Erfolgsgründen etwa seinen Musikstil geändert.
Für zwölf Tage hatten wir die Church-Studios im Londoner Norden angemietet, um jeden Tag einen anderen unser Lieblingssongs mit seinem Urheber einzuspielen. Manchmal ging es schnell, wie bei Captain Sensible, der sich, sobald das
rote Lämpchen anging, blitzschnell vom euphorischen Chaoten in einen Vollblutprofi verwandelte. Manchmal dauerte es etwas länger, wie bei Charlie Harper von den UK Subs, der erstmal Spiegeleier und baked beans für alle briet. Sinn machte es in jedem Fall, und Spaß sowieso.
Aber wie sah das eigentlich aus der Fish ’n’ Chips-Perspek-tive aus? Wie war es für euch, Arturo?
»Ich hatte kein Problem damit, unsere Musik noch einmal mit einer deutschen Band einzuspielen, die von uns beeinflußt worden war. Ich denke, keiner der an der Platte Beteiligten hatte damit ein Problem. Wir waren nicht gerade sehr in Mode zu der Zeit, kann man sagen. Da war jeder willkommen, der versuchte, uns ein bißchen von dem zurückzugeben, was er durch uns bekommen hatte. In der Tat waren die Toten Hosen aber die einzige Band, die das machte. Und das war mehr als eine schöne Geste. Viele vergessen später, woher sie gekommen sind, auch wenn sie am Anfang nicht daran geglaubt haben, daß sie mit ihrer Musik mal groß abräumen werden. Keine Band kann sich das ja wirklich vorstellen.
Ich kannte Campi, Andi, Faust und die anderen schon fast zehn Jahre lang. Fast jedes Jahr war ich in einer der Bands dabei, die mit ihnen in Deutschland auf Tour gingen. Zuerst waren es die Blubbery Hellbellies, dann Towerblock Rockers, Lurkers, 999. In den ersten Jahren waren es höchstens sechs-bis siebenhundert Leute, die zu den Konzerten kamen. Heute sind sie eine der großen Bands und verkaufen in Deutschland mehr Platten als die Pistols und The Clash zu ihrer besten Zeit. Ich wünschte, das wäre uns passiert, aber so ist es nun mal nicht. Sie
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