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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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Druck und ohne Schnörkel, und es hatte eine Gästeliste, die sich wie das komplette Register eines Who is Who des Punkrock las. Es gab sogar ein echtes Potpourri am Schluß, wo in den Backing Vocals zu »Borne to Lose« alles zu hören ist, was Rang und Namen hat - von TV Smith (The Adverts) bis zu Ronald Biggs.
    Ronald Biggs? Ja, der Ronald Biggs! Der erste postmoderne Gangster der britischen Gegenwart hatte mit seinem millionenschweren Coup, verfilmt als »Die Gentlemen bitten zur Kasse«, seiner Flucht um die halbe Erdkugel und seiner kurzen Gastrolle bei den Sex Pistols ausreichend Punk-Qualitäten nachgewiesen. Während Joe Strummer mit den Clash »I fought the law but the law won« sang, zeigte Biggs seinem Heimatland von Rio de Janeiro aus weiterhin den Mittelfinger.
    Beim Versuch, Biggs zu erreichen, stellten wir uns an wie James Bond für Arme. Das ganze Detektivspiel im Zusammenhang mit der Platte verleitete uns, die indirektesten und konspirativsten Wege zu beschreiten. Wir schalteten in unsere Ermittlungen den Daily Telegraph und die Plattenfirma der Pistols ein, dabei wäre es so einfach gewesen. Biggs, Ronald wird ganz normal im Telefonbuch von Rio geführt! Er war ein freundlicher, offener Kerl von dreiundsechzigjahren, als er im August '91 zu unserem Hotel in Rio kam. Für die Aufnahmen hatten wir eine kleine Gage ausgehandelt, das ging in Ordnung - er ist ein Ein-Mann-Museum und lebt davon, der berühmte Posträuber zu sein. Alles, was danach folgte, war aber weit entfernt von einem Deal.
    Gleich am ersten Abend schleppte uns Ronnie in sein Haus in Santa Teresa, einem ehemaligen Künstlerviertel der Stadt. Wir schauten auf die nächtlichen Lichter von Rio und kippten uns die Caipirinha-Cocktails und die Import-Biere in die Birne - das Beste aus beiden Welten. Irgendwann in diesen Tagen mit Biggs wurde mir dann klar, daß ich mir über das Älterwerden keine Gedanken zu machen brauchte. Wenn man dreiundsechzig Jahre alt werden kann und noch immer dasteht wie Ronnie, kann Älterwerden gar nichts Schlechtes sein. Es liegt also an mir, wenn ich eines fernen Tages ein »BOF« sein sollte, ein »Boring Old Fart« - nicht am Geburtsdatum in meinem Reisepaß. Mit dieser Glorifizierung junger Toter, von Buddy Holy bis Kurt Cobain, wollen sich die Kids im Grunde nur selbst einbalsamieren. Sie wollen das Standbild ihrer Jugend einfrieren - »Forever young«, weil sie sich nicht Zutrauen, ohne Verrat an sich selbst zu altern. Aber Ronald Biggs’ wache Augen sagten: »Völliger Quatsch, laß es sein! Mach dein Ding und werde steinalt!«
    Rio ist jedoch kein leichtes Pflaster, wenn man siebenundneunzig werden will. Eines Abends liefen wir von Ronnies Haus die Straße in Richtung Supermarkt und Kneipe runter,

    Mit Ronnie Biggs an der Copacabana
    genau in eine Gang von Santa Teresa hinein. Ein Dutzend Kids hatte sich auf der Straße aufgebaut, fast alle hatten ein Messer dabei. Dann sahen sie uns in Großaufnahme auf sich zukommen - Kiki mit den roten Haaren, Campi wasserstoffblond, alle irgendwie bunt und grell. Vielleicht war es Respekt für unseren Stil, den Stil einer unbekannten Favela namens Flingern, vielleicht war es eine gewisse Verunsicherung - die Kids ließen uns jedenfalls passieren.
    Viel später, als »Learning English« längst veröffendicht war, kam ich noch öfter nach Brasilien und zu Mr. Biggs. Die Treffen in Rio arteten immer wieder in Parties mit den dubiosesten Gästen aus. Für mich war es aber viel mehr, als nur ein paar Cachacas zu heben. Die Geschichten von einem Leben auf der Flucht und die dabei angehäuften Lebensweisheiten waren für mich jedes Mal absolut faszinierend.
    Einmal nahm mich Ronnie für ein paar Tage in sein Ferienhaus in Itacuruca mit, einer Fünfzehn-Hütten-Siedlung auf einer kleinen Insel vor der Küste, etwa zweihundert Kilometer südlich von Rio entfernt. Ronnie mußte bei der Ankunft feststellen, daß man sein Haus ausgeraubt hatte. Möbel, Fernseher, alles war weg, bis auf den letzten Eierbecher. Jeder auf der Insel mußte die Täter kennen, aber keiner sagte was. Das war der Punkt, der Ronnie wütender machte als alle Verluste. Bis zum Abend hatten wir wenigstens ein paar Sitzgelegenheiten organisiert, um uns mit einem Fischer auf die Terrasse zu setzen, den Wald mit dem alten Sklaven-Friedhof der ehemaligen Quarantäne-Station im Halbdunkel vor uns. Dann erzählten Ronnie und der Fischer all die Geistergeschichten der Schwarzen aus der Sklavenzeit, diese

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