Bis zum Ende der Welt
und Klicken der Tastatur, das seine Anwesenheit verrät.
Außer dem großen Dienstraum mit der Theke und einem Schreibtisch gibt es im weißen Haus noch weitere Zimmer: rechts davon das Büro des Kommandanten Cabral, das wir stillschweigend zu unserem gemeinsamen Aufenthaltsraum umfunktioniert haben, sowie ein Zimmer, das wir als Warteraum oder für die seltenen Verhöre nutzen. Und links vom Dienstraum, neben der Toilette, haben wir eine Arrestzelle, die schon vor Jahren ihren letzten Verdächtigen gesehen hat.
Schon seit längerem lautet die Anweisung des Regionalkommandos, alle Verdächtigen in die Kreisstadt zu bringen. Und seit drei Jahren ist der Posten auch nicht mehr rund um die Uhr besetzt. Unter der Woche schließen wir wie ein Lebensmittelladen um acht Uhr abends. Wer dann noch etwas will, muss nach Vila do Bispo fahren. Nur noch an den Wochenenden haben wir durchgehend Dienst – allerdings schläft Tritão, seitdem ihn seine Frau zu Hause rausgeschmissen hat, was jetzt schon eine Dekade her sein muss, auch die Woche über in der Polizeistation. Früher haben wir nachts Anrufe von ihm bekommen, Anrufe, die bei ihm eingegangen und von ihm weitergeleitet worden sind, da er ja, offiziell, gar nicht im Posten war und ihn deshalb auch nicht verlassen konnte. Dann hörten wir seine rauchige Stimme, in der immer Ironie und Pessimismus mitschwangen, quälten uns schlaftrunken aus unseren jeweiligen Betten und versuchten, der Sache nachzugehen, von der er uns inoffiziell berichtet hatte.
Doch jetzt gibt es keine Anrufe mehr. Die Nummer des Postens ist aus dem Telefonverzeichnis verschwunden. Wer den Notruf wählt, wird zu der neuen, viel größeren Polizeistation in der Kreisstadt umgeleitet. Sind wir in der Nähe von irgendetwas, rufen uns die Kollegen auf unseren Mobiltelefonen an. So steht das alte grüne Telefon mit dem eingestaubten schwarzen Tastenfeld unbenutzt und stumm auf Tritãos Schreibtisch – ein weiteres Relikt in einer Reihe musealer Gegenstände, mit denen er sich gerne umgibt. Einzig seinen alten Computer musste er zwischenzeitlich aufgeben, als der gegen einen neueren, schnelleren ersetzt wurde. Die Tastatur ist ihm geblieben.
Jener Montag schien der ganz gewöhnliche Anfang einer gewöhnlichen Woche zu sein, die vorübergehen würde wie alle vorangegangenen Wochen auch. Die meiste Zeit saßen wir entweder im Auto oder in der Polizeistation und warteten ab. Wir warteten ab, dass jemand zu schnell an uns vorbeifuhr, dass jemand aus dem hellen Licht des Tages in die dunkle Kühle unseres Postens flüchtete. Mit denen aus Vila do Bispo hatten wir uns das Gebiet aufgeteilt – sie übernahmen alles, was sich nördlich der Nationalstraße nach Lagos ereignete, wir alles südlich davon. Mit zwei Sargentos, das wusste jeder, waren wir eigentlich überbesetzt. Dass sie uns beide einsetzten, hatte auch damit zu tun, dass Cabral Englisch sprach und ich Deutsch und die Strände und die meisten Hotelanlagen in unserem Gebiet lagen. Die Straße teilten wir uns. An den Feiertagen oder zu Ferienzeiten gab es regelmäßig Großeinsätze, dann standen wir alle auf dem Asphalt, über dem im Sommer die Luft von der Hitze und den Abgasen flirrte, und kontrollierten. Aber meistens waren nur Eufemia und einer aus Vila auf Patrouille.
Als wir am späten Vormittag vor dem weißen Haus eintrafen, hörten wir bereits von draußen das einsame Klappern der fünfundzwanzig Jahre alten Plastiktasten. Tritão begrüßte uns mit einem Glucksen, einer Art amphibischem Lachen. Er sah auf, unterbrach für einige Sekunden die Arbeit und legte uns einen Computerausdruck auf die Theke.
«Die sollen jetzt bei uns unterwegs sein. Haben vergangene Woche eine Tankstelle bei Alfambra überfallen.»
Mechanisch griff ich nach dem Blatt Papier.
Es ist merkwürdig, wenn ich jetzt daran zurückdenke: In der Hand hielt ich die Tüte mit dem Finger, und vor mir lag der Steckbrief mit den Fahndungsfotos zweier junger Männer, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte – Maurizio Sepa, genannt «der Wilde», und Abel Campos. Maurizio grinste und sah dadurch wilder aus, als er es möglicherweise war. Abel Campos’ Gesicht hingegen schien mir vollkommen leer und hatte gerade dadurch etwas Bedrohliches.
Was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte, ahnte ich nicht.
Ich wohnte damals in einer Apartmentanlage nordwestlich von Luz, und das war nicht mehr unser Zuständigkeitsbereich. Von meinem Balkon aus konnte ich die
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